RAINwurf 17 | Eine Stadtgeschichte der anderen Art (Archiv 2022)

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25.6. | Gastkommentar von Rainer Kaufmann

Soviel Wertschätzung für eine der wichtigsten kulturellen Institutionen Bruchsals war noch nie: Da lädt die Badische Landesbühne zur Vernissage einer Fotoausstellung in den Räumen der Sparkasse ein und das offizielle Bruchsal glänzt… durch Abwesenheit.

Ob das mit dem Inhalt der Ausstellung und dem Schwerpunkt der nächsten Spielzeit „Stadtgeschichten“ zu tun hat? Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Denn: Wie kann sich eine vom Steuerzahler finanzierte Theatertruppe erdreisten, sich in Dinge einzumischen, die eigentlich der alleinigen Zuständigkeit der politischen Elite – Gemeinderat und Verwaltung – einer Stadt zustehen? Diese Frage kommt nicht von ungefähr, eine solche „demokratische Grundregel“ wurde schon vor vier Jahren geäußert, als die BLB im Feuerwehrhaus am 1. März eine Lesung zur Geschichte dieses Platzes veranstaltete. Diese Lesung war der Beginn einer öffentlichen Diskussion und gleichzeitig ihr Ende, denn seither darf das Thema offensichtlich noch nicht einmal in öffentlicher Gemeinderatssitzung richtig angepackt werden. Es ist ja „Chefinnen-Sache“. Und alle machen sie mit im Gemeinderat, das heißt, alle enthalten sich einer wirklich zielführenden und offenen Diskussion.

Dass man dies auch anders sehen kann, formulierte BLB-Intendant Carsten Ramm in seiner Begrüßungsrede so:
„Die Diskussion über die Zukunft einer Stadt gehört in die Öffentlichkeit, gehört in die Hände der Stadtgesellschaft; nur mit dem Wissen über das Wollen der Bürgerinnen und Bürger können die Gewählten Entscheidungen treffen, die akzeptiert und nicht nur ertragen werden, und die Bestand haben.“

Ramm wurde aber noch deutlicher:
„Wie Historie neue Geschichten schafft, zeigt sich in Bruchsal gerade wieder: Hier soll ein Lernort für Demokratie eingerichtet werden – an sich ja etwas höchst Erfreuliches und dringend Notwendiges –, aber wir erleben auch, wie auf dem Weg zu diesem Ziel die demokratischen Gepflogenheiten über Bord geworfen werden: Der Apparat regiert, die demokratisch Gewählten werden übergangen. Und die Ideen und Vorschläge aus der Bürgerschaft – ja, die gibt es, wenn auch die Öffentlichkeit wenig darüber erfährt –, die werden schlichtweg ignoriert.“

Eine klare Ansage an die politische Elite der Stadt, die – wie erwähnt – durch Abwesenheit glänzte. Damit diese Botschaft aber nicht mit Stillschweigen übergangen werden kann, muss sie in dieser Kolumne publiziert werden. Und zitiert werden muss auch Verfassungsrichter Peter Müller, der tags zuvor auf dem „Festival der Demokratie“ in Waghäusel ein Hohelied auf die Demokratie gesungen hat. Bemerkenswert seine Feststellung: Die Demokratie ist die „menschenwürdigste Staatsform“, auch weil in ihr die zu repräsentierende Bevölkerung in unmittelbarer Nähe und Kontakt zu denen stünde, die sie jeweils mit einem zeitlich befristeten Mandat repräsentieren.

Man/frau „da oben“ muss auch wissen, was „da unten“ gedacht wird

Was aber, Herr Verfassungsrichter, wenn die gesamte Schicht der gewählten – nicht der erwählten – Repräsentantinnen und Repräsentanten diesen eigentlich für die Demokratie essentiellen Kontakt anscheinend gar nicht will? Wenn sie, wie bei der BLB-Vernissage geschehen, noch nicht einmal in der Lage ist, einen einzigen Vertreter als Beobachter und Berichterstatter für die lokale Polit- und Verwaltungs-Elite zu delegieren, damit man/frau „da oben“ auch wissen, was „da unten“ gedacht wird?

Ein Ausweg wäre vielleicht ein „Lernort Repräsentative Demokratie“, bei dem die Stadtgesellschaft diejenigen, denen sie die Aufgabe dieser Repräsentation übertragen hat, zum offenen Diskurs zu wichtigen Themen einladen kann, wenn es sein muss, sogar dazu zwingen. Die BLB übernimmt – dankenswerterweise – mit ihren Planungen für die nächste Spielzeit nichts anderes als diese Rolle.

Dazu noch einmal Carsten Ramm:
„Wir werden uns mit den Mitteln des Theaters, mit Lesungen, Inszenierungen und Gesprächen, mit der Geschichte unserer Stadt, mit Geschichten und Themen aus dieser Stadt befassen, historischen wie gegenwärtigen. Wir fragen „Was war?“, „Was ist?“ und „Was wird?“, aber Sie dürfen von uns keine Antworten erwarten. Wir wollen mit unseren Fragen einen gemeinsamen Prozess des Antwortens anstoßen.“

Ja, einen gemeinsamen Prozess. Und da fehlt jetzt nur doch der letzte Vers aus dem Bürgerlied der 48er:

„Drum Ihr Bürger, drum Ihr Brüder
Alle eines Bundes Glieder, was auch jeder von uns tu.
Alle, die dies Lied gesungen, so Ihr Alten wie Ihr Jungen:
Tun wir, tun wir was dazu.“

Natürlich nur, wenn man/frau uns lässt.

 

 

Über Rainer Kaufmann

Der gebürtige Bruchsaler Rainer Kaufmann ist Journalist, Gastronom, Gründer des 1. Bruchsaler Stadtkabaretts, war in den 90er Jahren Veranstalter von mehrtägigen Kulturevents im Schlachthof und im Atrium des Bürgerzentrums (auf eigene Rechnung!) und beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit der Geschichte seiner Heimatstadt – ob in TV-Dokumentationen, Büchern („Seilersbahn – ein Weg Geschichte“, „Elternstadt Bruchsal“), Theaterstücken („Unschädlichmachungen“), Kabarett-Aufführungen, Vorträgen oder als Stadtführer.

Landfunker nimmt das Angebot des oft unbequemen Rainer Kaufmann gerne an, in Form von Gastkommentaren seinen Leserinnen und Lesern eine andere Bruchsal-Perspektive zu bieten, die in der Regel jenseits der Selbstbelobigungen der Amtsblätter oder der Pressemitteilungen an die hiesigen Tageszeitungen und Internetportale liegt.

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