Marieluise Schneider | Bild vom Bombenangriff auf BRuchsal
Zeichnung von Marieluise Schneider: Es zeigt, wie sie und der Soldat üer die brennenden Trümmer liefen.

Bruchsal | Es war die Nacht zum 1. März 1945 (Archiv 2017)

Lass das deine Freunde wissen!

Der Schicksalstag im März 1945 veränderte auch das Leben von Marieluise Schneider völlig. Sie verlor an diesem Tag ihr ganzes bisheriges Leben. Bekannt in Bruchsal ist sie durch ihre Schriftkunst, denn sie beherrscht die Technik der Kalligrafie wie kaum sonst jemand. Ihre Erinnerungen an den 1. März hat sie niedergeschrieben. Den Inhalt möchten wir hier ungekürzt wiedergeben.

Aus dem RegioMagazin WILLI 3/17

Einleitung | der 1. März 1945In diesen Monaten herrschte starker Publikumsverkehr. Es war ein ständiges Kommen und Gehen von Menschen, die flüchtend oder verjagt auf der Suche nach einer Bleibe waren. Sie alle mußten sich polizeilich anmelden, weil dies die Voraussetzung für den Erhalt der dringend benötigten Lebensmittelkarten war. So gab es im Amt immer viel zu tun und die Leute, die alle in Eile waren, brachten wenig Verständnis dafür auf, wenn wir uns bei Fliegeralarm gleich in den Luftschutzkeller begeben hatten. Die Alarmsirenen ertönten mehrmals am Tag. Man gewöhnt sich aber an alles, und so hatten es viele, wir auch, mit dem Aufsuchen der Schutzräume nicht so eilig.
Während der Mittagspause ging ich, wie immer, nach Hause. Mama hatte zum Essen Grießschnitten gerichtet. Woher sie nur die Zutaten genommen hatte! Nach Tisch machte ich mich wieder auf den Weg zum Dienst, an diesem Tag sehr zeitig. Die Sonne schien, es war ein strahlender Märztag.
Unterwegs traf ich Hildegard Berlinghof – sie gehörte zu meinem Jahrgang –, die ins Photogeschäft Ohler wollte, zwei Häuser neben dem unsrigen, wo sie angestellt war. Das Geschäft war nach der Mittagspause noch nicht geöffnet, und Hilde begleitete mich. Natürlich war Voralarm. Wir verabschiedeten uns beim Rathaus um etwa 13.45 Uhr; sie lief zurück zur Wörthstraße und direkt in die erste Bombenwelle hinein.
Ich kam ins Rathaus, da fielen Bomben. Ganz nahe. Erschreckt kauerten wir beieinander in einer hinteren Ecke des Raumes: die erste Welle. Ich ging weiter durch die hintere Türe ins Treppenhaus. Wieder fielen Bomben. Wo wohl und wieviele? Ich lag am Mauerrand auf den Stufen der breiten Treppe. Die zweite Welle. Es wurde ruhiger. Da ich zur Betriebsfeuerwehr eingeteilt war, trug ich einen Schutzhelm. Ich lief über den Rathaushof, der übersät war von Steinbrocken und Trümmerteilen, und erreichte schließlich den Schutzraum, der sich im Keller unter den hinteren Gebäudeteilen befand. Andere Kollegen hielten sich bereits dort auf. Es kam die dritte Welle. Die vierte Welle. Was war diesmal geschehen? Viel schlimmer als bei früheren Bombenabwürfen hatte es sich eigentlich nicht angehört.

Marieluise Schneider | Bruchsal
Marieluise Schneider hat ihre Erinnerungen an den 1. März niedergeschrieben.

Wir verließen den Schutzraum. An vielen Stellen im Haus war Feuer zu sehen. Wir, die Betriebsfeuerwehr, machten uns nun an unsere Arbeit. Mit bereitgestelltem Wasser und Sand versuchten wir im ersten Obergeschoß zu löschen, wo Schreibtische, Vorhänge, Schränke brannten. Stabbrandbomben warfen wir hinaus. Die Flammen waren soweit erstickt, hinauf also ins nächste Stockwerk. Wieder mit Sand löschen. Jetzt aber brauchten wir Wasser, da es noch viele Brandherde gab. Also legten wir vom Hydranten im Hof eine Leitung nach oben – aber der Schlauch blieb trocken und leer, es kam kein Wasser. Die Sandvorräte waren aufgebraucht, die Flammen schlugen hoch, an vielen Stellen. Retten konnten wir da nichts mehr.
Ich wollte jetzt nach Hause, um zu sehen, was in der Wörthstraße geschehen war. Ich ging aus dem Rathaus. Ein riesiger Bombentrichter davor, so groß wie die Fahrbahn breit war. Beim „Rappen“ stand Herr Schuhmacher Doll, der in seiner Werkstatt an der Kaiserstraße den Angriff überstanden hatte, und rief nach Leuten, die helfen sollten. Im Öffentlichen Luftschutzkeller unter dem Gasthaus befanden sich mit anderen seine Frau und die fünf Kinder. Riesige Steinbrocken lagen herum, von Hand nicht zu bewegen, und von drunten die Schreie der Menschen, die verschüttet waren…. Man konnte nichts tun, nicht helfen. Alle in diesem Keller sind ums Leben gekommen.

Stadtplan 1939 | Bruchsal
Stadtplan von 1939

Leute riefen „zur Großen Brücke, dort hört es auf“. Etliche sah ich in diese Richtung rennen. Aus den Fenstern der oberen Stockwerke schlugen Flammen. Die Häuser brannten, rechts und links der Straße….
Ich wollte nun doch nach Hause, also in die entgegengesetzte Richtung, in den Sturm hinein. Da war ein Soldat. Ein Urlauber wohl. Er fragte mich, wo die Schönbornstraße sei; er wolle dort einen Besuch machen. Ich antwortete, daß ich die Straße kenne und ihm den Weg zeigen könnte, aber zuerst wolle ich nach Hause. Er ging mit mir. Vorbei am brennenden Rathaus, am Pfarrhaus. Die Stadtkirche von Bomben getroffen, über die Straße hinweg ein lodernder Schuttberg. Der Soldat nahm mich bei der Hand und zog mich hinüber. Wir kamen zu Ecke Marktplatz-Friedrichstraße. Die Schulstraße und die Friedrichstraße in Richtung Pestalozzischule waren versperrt durch brennende Trümmerhaufen. Phosphor. Der Soldat meinte, in der vorgesehenen Richtung könnten wir nicht weiterkommen, es gäbe nur den Weg nach rechts. Dieser Teil der Friedrichstraße war noch begehbar. Also hier weiter, über die Kreuzung Friedrichstraße-Kaiserstraße. Aus den Häusern schlugen Flammen, Menschen schrieen…. Zwischen Huttenstraße und Milchgeschäft Seyband züngelnde Glut über die gesamte Straßenbreite. Der Soldat fragte, ob ich mich da durch traue. Aber es gab keinen anderen Weg. Also durch. Ich erinnere mich noch an die Hitze um meine Beine und Füße. Feuer. Jenseits der Sperre hatte ich sogar noch meine Schuhe an….
Von der Wilderichstraße kommt eine Frau, blutig, überall Schnittwunden. Ich hake sie unter und will sie ins Krankenhaus bringen. Weiter Richtung Damianstor. Am Gymnasiumsplatz Luft holen, atmen. Hier ist es freier. Weiter zur Schönbornstraße, zum Krankenhaus, das unbeschädigt ist. Wir gehören zu den ersten, die einen Verwundeten bringen.
Immer noch habe ich den Helm auf dem Kopf. Mir ist nichts geschehen. Doch wo ist der Soldat? Er ist nicht mehr da. Wer war er? War es mein Schutzengel? Allein hätte ich den Weg so nie zu gehen gewagt. Sicher hätte ich einen der noch intakten Keller aufgesucht. Einen Keller! Viele Menschen kamen so zu Tode, weil eine Flucht nicht mehr möglich war, sobald sich das Feuer nach unter durchgefressen hatte. Sie sind erstickt.

Ein Versuch, von der anderen Seite zur Wörthstraße zu kommen. Vom Damianstor stadtauswärts war alles unversehrt geblieben. Vorbei an der Gartenseite des Schlosses. Flammen schlagen aus den oberen Stockwerken. An der Kreuzung Schloßstraße – Kaiserstraße ist ein Durchkommen nicht möglich. Also zurück.Zitat | der 1. März 1945 | Bruchsal Bombadierung

In der Schönbornstraße, weit draußen, wohnt ein Mädchen aus meiner Jugendgruppe mit ihrer Mutter. Dort werde ich aufgenommen. Ich habe nichts außer meiner Handtasche, die ich zum Dienst mitgenommen und die ganze Zeit bei mir getragen hatte, und den Schutzhelm…
Gegen Abend, die Stadt brennt, der Himmel ist verdunkelt und es fallen Tropfen. Nachfragen im Krankenhaus, St. Paulusheim, St. Maria, ob meine Mutter dort sei. Wir hatten daheim abgesprochen, wenn etwas passieren sollte, möglichst schnell den Keller zu verlassen, um ins Freie zu gelangen. Überall die Antwort „Nein“.
In die Stadt kann man nicht mehr. Ein Flammenmeer. In der Nacht liegen wir zu viert oder fünft in den Ehebetten. Durch das Fenster sehe ich in der Ferne die brennende Stadt. Ich zittere am ganzen Körper, zittere, zittere….

Rathaus und Kaiserstraße Bruchsal
Rathaus und Kaiserstraße Bruchsal
Zerstört: Rathaus | Bruchsal
Zerstört: Rathaus

Am nächsten Morgen über qualmende Trümmer und Schutt in die Stadt. Menschen, die suchen, Trauer, Tränen, Tote… Ich komme bis vor unser Haus Wörthstraße 7 (heute Nr.5). Ein brennender, glusender, rauchender Trümmerberg. Der gewölbte Keller hat gehalten. Wo finde ich meine Mutter? Von den Nachbarn ist niemand zu sehen. Ich zittere immer noch.
Am folgenden Tag ist der Trümmerberg niedriger. Der Keller also eingestürzt. Darüber vibriert die Luft von der Hitze. Immer noch Brand, Rauch, Flammen.
Tiefflieger. Sie schießen auf Menschen. In der qualmenden Ruinenstadt gibt es nirgendwo Schutz. Angst. Hilflos ausgeliefert.
Immer wieder gehe ich in die Stadt, allein. Ich habe hier keine Angehörigen. Ob auf unserem Anwesen gegraben wird? Ich muß mich darum kümmern. Auf den Straßen – besser: wo die früher waren – Tote, die man gefunden oder aus den Kellern herausgeholt hat. Verstümmelte, verkohlte, kleine geschrumpfte Leichen. Menschen bringen leblose Körper, ihre umgekommenen Angehörigen zum Friedhof. Dort liegen viele, die auf die Identifizierung warten. Andere fahren auf Wägelchen ihre letzte Habe weg, die sie retten konnten. Mein und Dein verschwimmen weithin. Aus Wohnungen und Kellern, die verlassen stehen, wird ausgeräumt. Wenn die Besitzer kommen, ist alles leer…Mich betrifft das aber nicht; es ist ohnehin alles weg.
Immer wieder allein in die Stadt gehen. Nach Tagen erfahre ich, daß die Bewohner des Nachbarhauses (Katz) in ihren Keller stiegen und zum Teil stürzten, als auf unser Haus schon Sprengbomben fielen. Der Rückweg war ihnen versperrt und sie öffneten den Mauerdurchbruch zu unserem Keller. Der war leer. Sie arbeiteten sich weiter durch in den Keller des nächsten Hauses (Riedel). Von dort gelangten sie ins Freie.

Städtische Sparkasse und Mozartschule | vor Zerstörung
Städtische Sparkasse und Mozartschule
Zerstört | Städtische Sparkasse und Mozartschule
Zerstört: Städtische Sparkasse und Mozartschule
Wörthstraße | Zerstört | Bruchsal
Zerstört: Wöthstraße im Hintergrund Mozartschule

Der Angriff dauerte ungefähr 20 Minuten.
Bruchsal ist ausgelöscht. Zu 82% zerstört. Es war ein Monat vor dem Einmarsch der Siegermächte. Über 1000 Menschen sind ums Leben gekommen…

Schicksalhafte Verknüpfungen

Zufall, Vorsehung, Schicksal, göttliche Fügung, man kann es nennen, wie man will. Viele Erzählungen aus den Kriegstagen zeigen immer wieder, dass ganz kleine Begebenheiten oftmals über Leben und Tod entschieden haben. Diejenigen, die durch einen Zufall knapp dem Tod entkamen, erinnern sich ihr Leben lang an die, die sterben mussten – an die letzte Begegnung. Wir haben Geschichten gehört und zusammengefügt und fanden heraus, dass das „Schicksal“ von einigen Menschen in Bruchsal seit dem 1. März 1945 eng miteinander verknüpft ist, obwohl die inzwischen weit über 90-Jährigen bisher nichts davon wussten…

Anneliese Bischoff, geborene Gehring

„Ich habe als junge Frau bei der Sparkasse gearbeitet, unsere Geschäftsstelle war damals gegenüber des heutigen Sparkassengebäudes an der Ecke Friedrichsplatz und Wörthstraße“, erzählt Anneliese Bischoff, geborene Gehring. „Wir wohnten in der Talstraße, der Weg war zwar nicht so weit, aber es gab wenige Möglichkeiten bei Fliegeralarm kurzfristig in einen Luftschutzkeller zu flüchten. Weil zu dieser Zeit fast täglich Alarm war, gab mein Chef, Herr Kober, die Anweisung, dass ich lieber mal die Entwarnung zu Hause abwarten sollte, als unterwegs in Gefahr zu geraten. „Die Arbeit kann auch mal warten“, sagte er großzügig. An diesem unsäglichen 1. März 1945, verbrachte Anneliese Gehring die Mittagspause zu Hause. Zusammen mit ihrem Nachbarsmädchen Maria Berlinghof wollte sie anschließend wieder von der Talstraße aus zurück in die Stadt laufen. Eine Bekannte der Familie hatte am Vormittag Kuchen vorbeigebracht (das war damals ein ganz besonderes Vergnügen, denn die Lebensmittel waren knapp). Als Maria Anneliese abholen wollte, rief die junge Sparkassenangestellte ihr zu, sie würde etwas später hinterherkommen, weil sie noch das Stückchen Kuchen essen wollte – das war ihr Glück!

Marieluise Schneider

Genau zur selben Zeit war Marieluise Schneider während der Mittagspause zu Hause bei ihrer Mutter in der Wörthstraße. Als sich die Lehramtsstudentin wieder auf den Weg zurück zum Arbeitsdienst im Bruchsaler Rathaus machen wollte, traf sie auf der Straße die gleichaltrige Hildegard Berlinghof (die Schwester von Maria Berlinghof). Die Familie Berlinghof wohnte in der Talstraße und Hildegard arbeitete im Fotogeschäft Ohler in der Wörthstraße. Sie war noch ein bisschen früh dran nach der Mittagspause. Deshalb begleitete sie an diesem schönen Frühlingstag Marieluise Schneider noch ein paar Meter bis zum Rathaus. Etwa um 13.45 Uhr verabschiedeten sich die beiden jungen Frauen und Hildegard Berlinghof ging zurück zur Wörthstraße, wo sie kurz darauf im Bombenhagel umkam.

Ihre Schwester Maria lief etwa zur selben Zeit in die Stadt und wurde von der ersten Angriffswelle auf offener Straße erwischt. Anneliese Bischoff erzählt vom Tod der Freundin und dass man den Leichnam am nächsten Tag in Höhe der „Siemensunterführung“ gefunden habe, die Schuhe und die Handtasche waren nicht mehr da.

Alfred Beissmann

Alfred Beissmann | BruchsalEbenso wie Marieluise Schneider war auch Alfred Beissmann im Bruchsaler Rathaus tätig. Sein Arbeitsplatz war die Stadtkasse. Auch er verbrachte seine Mittagspause am 1. März zu Hause in der Ritterstraße. Er lief zusammen mit seinem Freund Oskar Schlichter zurück in die Stadt, als die beiden vom Fliegeralarm überrascht wurden. Der Bombenhagel kam so schnell, dass sie sich nur noch in das Haus der Familie Klein gegenüber dem Rathaus retten konnten. „Als wir uns wieder heraus trauten, war direkt vor uns auf der Kaiserstraße ein riesiger Bombentrichter“, erzählt der heute 97 Jahre alte Alfred Beissmann, als ob dieser Tag gestern gewesen wäre. Das Rathaus gegenüber stand in Flammen.
Marieluise Schneider hatte den Fliegerangriff im Rathaus auch überlebt. Mit einem Schutzhelm bekleidet war sie als Mitglied der Betriebsfeuerwehr noch damit beschäftigt, das Feuer im Rathaus zu löschen. Als man dort merkte, dass man gegen die Flammen nicht ankommen konnte, wurde Marieluise nach Hause geschickt. Auch sie sah vor dem Rathaus völlig entsetzt den riesigen Bombentrichter, dessen Ursache die anliegenden Häuser nur knapp verfehlt hatte. Sie wollte nun schnellstens nach Hause, um zu sehen, was in der Wörthstraße mit ihrer Mutter geschehen war, doch soweit kam sie nicht mehr…

Alle drei Zeitzeugen können sich noch minutiös an den frühen Nachmittag des 1. März 1945 erinnern, alle schildern die schrecklichen Ereignisse übereinstimmend und präzise. Seltsamerweise verschwimmt dann die Erinnerung bei allen. Wenn man wissen will, was denn in den Folgetagen geschehen ist, wie die Menschen versucht haben wieder eine Art Leben zu führen, werden die Antworten spärlich.

„Wir haben im St. Paulusheim ein „Not-Rathaus“ aufgemacht. Dorthin sind dann die Leute gekommen, die keine Papiere mehr hatten und die Unterstützung oder eine Unterkunft benötigt haben“, erzählt Alfred Beissmann. Die Wohnung seiner Familie in der Ritterstraße sei nicht zerstört gewesen, allerdings hätte man natürlich Verwandtschaft dort aufgenommen, obwohl man selbst nicht viel Platz hatte.

Auch für Marieluise Schneider war die Unterkunft gleich nach dem Bombenangriff das zentrale Problem. Sie hatte alles verloren, die Mutter war tot, ihr Haus völlig zerstört. Anfangs kam sie bei der Familie einer Freundin in der Schönbornstraße unter, wo noch viele weitere Leute auf engstem Raum – notgedrungen – zusammen leben mussten. Später dann bekam sie ein eigenes kleines Zimmer im St.Paulusheim, weil sie dort für die Patres Schriften und Zeichnungen anfertigte, um ihr weiteres Studium zu finanzieren. „Ich habe 1944 noch mein erstes Staatsexamen an der PH in Karlsruhe für das Lehramt abgelegt, dieses Schriftstück hatte ich am 1. März in meiner Handtasche bei mir, es war das Einzige, was mir blieb“, erzählt sie und ist heute noch fassungslos über das, was damals geschehen ist. „Ich habe alles verloren, ich hatte keine Heimat mehr“, sagt sie und das Wort Heimat bekommt in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Bedeutung.

Zeichnung Marieluise Schneider | Bombenkrater | Bruchsal 1945
Zeichnung von Marieluise Schneider: Deutlich zu sehen, der riesige Bombenkrater mitten auf der Kaiserstraße, an den sich auch Alfred Beissmann noch erinnert

Anneliese Bischoff, deren Elternhaus in der Talstraße 5 verschont blieb, erinnert sich an ganz andere Dinge. „Ich spielte Geige. Ostern 1945 war Anfang April. Die einzige unzerstörte Kirche war im Paulusheim. Am Ostersonntag bin ich mit meiner Mutter Lina zum Gottesdienst dorthin, um Geige zu spielen. Als wir zwei Frauen anschließend alleine wieder nach Hause liefen, kamen uns Leute entgegen und sagten: „Beeilt euch, dass ihr nach Hause kommt, die Franzosen stehen schon am Schlossgarten!“ Wir hatten im Hinterhaus einen kleinen Bretterverschlag. Mein Vater Heinrich hat mich dort hinein versteckt und Bretter und Sachen davorgestellt, damit mich die Franzosen auf ihrer Plünderungstour nicht finden konnten, ich war ja ein junges, hübsches Mädchen“, erzählt die heute 93-jährige.
Sie erzählt auch noch vom Tresor der Sparkasse, der der Feuerbrunst standgehalten hatte. Als sie etwa zwei Wochen nach dem 1. März wieder ihre Arbeit aufnahmen, war der Stahlschrank noch immer nicht ganz abgekühlt, die Papiere und das Geld darin aber völlig unversehrt. Da das Sparkassengebäude zerstört war, bezog man im heutigen Gasthaus zum Engel in der Württemberger Straße eine Notunterkunft. „Der Sparkassendirektor Kohler (dessen ganze Familie am 1. März im Gebäude der Sparkasse ums Leben kam) schickte mich und meine Kollegin zurück zum Friedrichsplatz, um aus dem Tresor ein paar Unterlagen zu holen. Als wir zwei Mädchen die Dokumente holen wollten, standen plötzlich dunkelhäutige amerikanische Soldaten mit Gewehren hinter uns. Wir bekamen einen riesen Schreck. Mit Händen und Füßen erklärten wir unsere Absicht. Die Soldaten haben es Gott sei Dank verstanden und halfen uns sogar noch beim Abtransport.“

Der furchtbare Bombenangriff vom 1. März 1945 und die Zeit der großen Not sind über 70 Jahre her, dennoch wollen wir im Stadtmagazin WILLI immer wieder davon berichten, denn an diesem 1. März 1945 wurde die historische Stadt Bruchsal zerstört, 1000 Menschen getötet und viele Schicksale besiegelt. Unzählige Lebenspläne haben sich dadurch verändert. Wir finden die Spurensuche immer wieder spannend.
Solange wir Zeitzeugen finden, bleiben wir dran!

Texte: Andrea Bacher-Schäfer
Bilder: Carl Ohler, Stadtarchiv, abs

 

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