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Griseldis (vorne, neben dem Vater) mit ihrer Familie ca. 1943

Bruchsal | Zeitzeugen berichten (Archiv 2019)

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Icon-Stadtmagazin WILLI Griseldis Heinrich – Ein Kuchen voller Scherben

Am 1. März 1945 wurde Griseldis Heinrich sieben Jahre alt. Es war ein schöner Tag, mit blauem Himmel und lauen Temperaturen. Griseldis erinnert sich noch gut daran, dass sie ihre Mutter sehr lange genervt hatte, bis sie Kniestrümpfe anziehen durfte.

Gegen Nachmittag nahm der Tag eine dramatische Wende. Mit dem Fliegeralarm war der Geburtstag vorbei. Griseldis und ihre Familie wohnten direkt in der Innenstadt Bruchsals, zwei Häuser stadteinwärts neben dem heutigen Kochlöffel, damals war die Schreinerei Schroff dort ansässig. Griseldis, ihre beiden Schwestern, damals zweieinhalb und sechzehn, und die Mutter suchten Schutz im Keller. Wie jedes Mal. Doch dieses Mal war es anders. Es war laut und die Erde bebte. Als draußen Ruhe eingekehrt war, wollten sie den Keller verlassen, aber ihr Ausgang war durch eine Phosphorbombe unpassierbar geworden. Sie mussten durch drei weitere Keller bis sie endlich im Freien waren.

Draußen war der Himmel schwarz von Rauch, alles brannte und die gesamte Innenstadt lag in Schutt und Asche. Ihre Wohnung war ausgebrannt, dahin konnten sie nicht zurück. In ihrem Schock lief die Mutter mit ihren Mädchen zur nahegelegenen Bäckerei Kimmich. Dort hatte sie den Geburtstagskuchen für Griseldis bestellt gehabt. Griseldis erinnert sich: „Als wir vor der Bäckerei standen, war alles voll Scherben, das Schaufenster war zerbarstet und hatte die Glassplitter auf all die schönen Kuchen verteilt“. Dann irrte die Mutter mit den Kindern durch die Stadt. Ein Bombentrichter in der Friedrichstraße machte ein Weiterkommen unmöglich. Schließlich erreichten sie die Württemberger Straße, hier gab es so gut wie keine Schäden. In der Freiherr-von-Stein-Schule (heute Schönborn-Gymnasium) fanden sie eine Bleibe für die nächsten Tage. Außer den Kleidern, die sie am Leib trugen hatten sie nichts mehr. Spielsachen, Fotos, der Ehering, alles war weg. Nach ein paar Tagen lief die Mutter mit den Kindern nach Forst, zur Oma. Doch das Zusammenleben auf kleinstem Raum funktioniert nicht. Also irrte die kleine Familie weiter nach Ubstadt in der Hoffnung irgendwo unterzukommen, schließlich liefen sie von dort wieder zurück nach Bruchsal.

Die Brüder von Griseldis waren zu dieser Zeit im Schwarzwald in einem Jugend-Camp untergebracht. Hitler lies damals Buben in solche Camps bringen, damit ihnen nichts passiert, schließlich sollten sie mal für ihn wichtige Soldaten werden.

Der Vater indes war an der Front und wurde lebensgefährlich verletzt. Die Familie erhielt die Information, dass er mit einem Bauchschuss in Breslau im Lazarett läge. Sie hörten nie wieder etwas von ihm.

Der Winter hatte noch mal zugeschlagen es war kalt und es gab Schnee und Schneeregen. „In Bruchsal wohnten wir dann in Baracken“, erinnert sich Griseldis. „Dann hörte meine Mutter, dass die Franzosen kommen und sie wollte unbedingt weg. Wir liefen nach Gingen (Anm. d. R. ca.150 km entfernt). Ich weiß nicht wirklich, was Mutter dort wollte aber von Dauer war unser Aufenthalt dort auch nicht. So gingen wir wieder zurück nach Bruchsal.“ Zu Fuß, mit drei Kindern. Essen bekamen sie von Leuten, die ihnen etwas abgaben. Zurück in Bruchsal wohnten sie dann in der alten Wurstküche, im Hinterhaus der Schreinerei Schroff. „Ringsherum waren Trümmer, aber wir hatten ja keine Wahl“, sagt Griseldis nachdenklich. „Es war die reinste Völkerwanderung, überall waren Menschen in schmutziger verlumpter Kleidung unterwegs. Keiner hatte mehr etwas. Man lief umher und hoffte auf Hilfe.“
Arbeiten konnte die Mutter damals nicht, dafür war das jüngste Kind noch zu klein. Für die Bedürftigen gab es Essensmarken und bald bekam die Mutter eine Witwenrente. 1951 konnten sie dann in eine Wohnung in die Nähe der Dragonerkaserne ziehen.

„Meine Mutter erzählte mir einmal, dass sie bei unserer Flucht aus der Kernstadt, drei Tote hatte liegen sehen auf Höhe vom Uhren Schmitt und sie war gottlob froh, dass wir Kinder dies nicht gesehen hatten. Aber trotz allem haben wir viel – zu viel gesehen. Noch viele Jahre später hatte ich Albträume und habe im Schlaf geschrien.“

Schon lange wohnt Griseldis in Forst und hat zwischenzeitlich viele Geburtstage gefeiert. An ihren 7. Geburtstag muss sie jedes mal wieder denken, den Bombenangriff wird sie nie vergessen.

Text: Christina Notheisen, Bilder: Griseldis Heinrich

Aus RegioMagazin WILLI 03/19

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