Bruchsal | Elternstadt – Eine Zeitreise in die Vergangenheit (Archiv 2020)

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Anlässlich des 75. Jahrestags der Zerstörung Bruchsals veröffentlicht Rainer Kaufmann sein Buch „Elternstadt Bruchsal – Ein ganz persönlicher Stadtführer“. Ein Buch zum Erkennen und Verstehen, ein Trip durch das Bruchsal des 2. Weltkriegs.

Seit über 50 Jahren begleitet und dokumentiert das Bruchsaler Urgestein Rainer Kaufmann das Zeitgeschehen seiner „Elternstadt“ als Zeitungs- und TV- Journalist, als Buch- und Theaterautor. Darüber hinaus ist Kaufmann auch als Lokal-Kabarettist tätig. Seine gesamte Laufbahn findet ihren Ursprung, wie nicht anders zu erwarten war, in Bruchsal, genauer bei der Bruchsaler Rundschau, heute bekannt als BNN. Mittlerweile ist er als Journalist und Verleger auch in fernen Landen, wie dem Kaukasus engagiert, trotz alledem haben ihn seine Wurzeln nie wirklich losgelassen.

In seinem neusten Buch, einem „ganz persönlichen Stadtführer“, berichtet Kaufmann von bekannten Gebäuden, wie dem Bergfried, dem Bürgerpark oder dem Brentano-Haus, weiterhin finden sich Beiträge mit interessanten Zeitzeugen und darüber hinaus zahlreiche Bilder, alte Briefe und weitere Eindrücke. Der Autor lässt den Leser eintauchen in eine Welt von Ereignissen, die manch anderer lieber verschweig.

Was war er Anlass für das Buch?

Wenn man wie ich kurz vor dem 70. Geburtstag steht, dann pflanzt man entweder noch einen Baum oder schreibt eben ein Buch. Ich hab mich für letzteres entschieden.
Es geht mir um eine völlig neue Erzählung der Bruchsaler Stadtgeschichte, eine Erzählung, in der die wechselvolle Geschichte der Deutschen um Freiheit und Demokratie, auch um Unterdrückung dieser Werte, auf die wir heute so stolz sind im Mittelpunkt steht. Und dieser Teil der Geschichte kann in der Bruchsaler Stadtmitte exemplarisch erzählt werden, wie wohl kaum in einer anderen Kleinstadt Deutschlands. Dieses, nämlich ein „Lernort Freiheit und Demokratie“ endlich anzudenken und dann auch einmal anzugehen, könnte vor allem die Attraktivität der Bruchsaler Innenstadt um Bergfried, Bürgerzentrum und Bürgerpark ganz enorm verbessern.

Dies alles in einem Buch aufzubereiten, steht schon länger auf meiner Agenda. Es geht mir nicht nur um die NS-Zeit, sondern vor allem um früh-demokratische Freiheitsbewegungen wie Bauernaufstände und 1848/49er Revolution. Beide Ereignisse haben ihre Spuren auch in Bruchsal hinterlassen. Nur, wer weiß eigentlich davon?

Wie kommt man auf den Namen?

Ganz einfach, indem „man“ auf „frau“ hört und daher den Begriff „Vaterstadt“ nicht mehr verwenden will. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass mein Vater etwa Alleinerziehender gewesen wäre, meine Mutter war da schon auch ganz erheblich beteiligt. Daher die naheliegende Wortschöpfung „Elternstadt“. Vielleicht kann man/frau das irgendwann einmal auch auf den Begriff „Vaterland“ anwenden.

Gibt es noch letzte Geheimnisse, die gelüftet werden konnten?

Ja, es gibt aufgrund aktueller Recherchen einige brisante Informationen vor allem darüber, wie in den 70er, 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhundert das offizielle Bruchsal alles tat, um wichtige Teile der Stadtgeschichte zu unterdrücken oder einseitig darzustellen und damit zu verfälschen.

Da muss nach meiner Meinung an einigen Punkten noch einmal intensiv geforscht und recherchiert werden. Und es müssen verschiedene Publikationen und auch öffentliche Einrichtungen wie Mahnmale dringend korrigiert, wenn nicht das eine oder andere sogar völlig abgeräumt werden. Da gibt es jede Menge an Handlungsbedarf, das wird in meinem Buch auch mehrfach im Detail erläutert und begründet. Dringender Handlungsbedarf besteht auch in der Gestaltung des Städtischen Museums im Bruchsaler Schloss, das nahezu konzeptionslos daherkommt und überdies mit einigen historischen Fehl-Informationen glänzt und natürlich auch ganz gewaltigen historischen Lücken. Ein Museum, das nicht nur nach meiner Meinung im Rahmen einer grundsätzlichen Neu-Konzeption der Bruchsaler Museums-Landschaft einer völligen Überarbeitung bedarf. Kosmetische Reparaturen reichen da nicht aus.

Ich habe dem Museum daher ein eigenes Kapitel im Buch gewidmet und werde mich in Kürze auch noch einmal mit einem entsprechenden Vorschlag zu Wort melden. 

Ist es nicht endlich mal genug immer wieder das Gestern aufzurufen?

Es kommt auf die Haltung an, in der das geschieht. Zunächst einmal ist es unsere Pflicht, geschichtliche Dokumente und Erkenntnis zu erhalten und den kommenden Generationen weiter zu geben. In Bruchsal wurde, das kann ich im Buch nachweisen, teilweise das Gegenteil gemacht, es wurden wichtige Zeitdokumente mit Vorsatz aus dem Verkehr gezogen und unterschlagen. Das muss endlich aufgearbeitet werden.

Mit geht es dabei vor allem darum, die Geschichte für künftigen Generationen so aufzubereiten, dass sie zukunftsfähig wird. Was heißt das? Ganz einfach: Wenn wir das nicht machen, wenn wir nicht erklären, was in dieser Stadt alles geschehen ist, auch an schrecklichen Dingen, dann geben wir nur dem rechten Hirnakrobaten recht, der erklärt hat, die NS-Geschichte sei doch nur ein „Vogelschiss“ gewesen.

Sind Sie als Mitglied der neuen „Kommission für Stadtgeschichte“ nicht befangen?

Warum eigentlich? Ich bin ein Mitglied dieser Kommission, aber wer wollte mir deshalb das Recht auf eigenständige Meinung und Publikation verbieten? Die frühere Historische Kommission hat kläglich versagt, weil sie erstens keine offenen Diskussionen ermöglicht hat und sich zweitens dem Diktat eines Mannes mehr oder weniger freiwillig unterworfen hat. Und der hatte, das wird in meinem Buch an mehreren Stellen eindeutig nachgewiesen, seine eigene Agenda. Ich bringe mich gerne in diese Kommission ein, werde mich aber in der Öffentlichkeit vor allem auch für eine größtmögliche Transparenz der Arbeit dieser Kommission einsetzen. Auch da gibt es noch einigen Handlungsbedarf. Auf keinen Fall werde ich mich dem Bruchsaler Mainstream nach Kompromissen, die im Hinterzimmer ausgehandelt werden, unterwerfen.

Könnte das Buch Manchen Schmerzen bereiten?

Nur dem, der nicht bereit ist, sich einer Sachdiskussion zu stellen, auch einer kontroversen. Nur dem, der sich selbst und sein Ego infrage gestellt sieht, wenn er sich auch einmal einer öffentlichen Kritik stellen muss. Aber das muss jetzt nicht unbedingt mein Problem sein.

Gibt es etwas, was Sie beim Schreiben dieses Buches vielleicht völlig neu erkannt haben? Auch persönliches?

Oh ja, das wird vor allem im Kapitel über das Schönborn-Gymnasium und meine gesamte Schulzeit auch in der Freiherr-vom-Stein Volksschule deutlich. Wir hatten in den 1950er Jahren natürlich noch einige Lehrer, die nicht verheimlichen konnten, aus welcher Zeit sie stammten. Und ich bin ja auch im katholischen Nachkriegs-Milieu aufgewachsen, das ich im Kapitel Stadtkirche ausführlich behandle.

In etwas mehr als zehn Jahren Schulzeit hat sich bei uns allerdings ein Paradigmen-Wechsel abgespielt, den wohl keine Jugend-Generation vor uns oder nach uns so deutlich hat erleben können. Statt der früheren Jugend-bewegten Lagerfeuer-Lieder haben wir plötzlich Songs von Joan Baez gesungen, von Bob Dylan, Negro-Spritiuals, haben Elvis Presley gehört, Jazz und die Beatles. Und genau dazu habe ich im Kapitel Schönborn-Gymnasium eine kleine Episode, die mir heute kaum jemand glaubt: Wir haben damals als Schüler auf eigene Verantwortung eine politische Diskussion mit engsten Mitarbeitern von Martin-Luther King, dem Führer der amerikanischen Befreiungsbewegung, veranstaltet und einen Abend mit Liedern des Kampfes der schwarzen Bevölkerung um Gleichberechtigung. Guy und Candie Carawan hießen unsere Gäste aus Amerika. Gut, das ist eine kleine persönliche Episode, die ich nicht vermissen möchte.

Aber sie verdeutlicht dann doch, was wir in jungen Jahren für eine grundlegende Umorientierung haben mitmachen dürfen. Eine ganz besondere Form von der „Gnade der späten Geburt“.

Elternstadt Bruchsal – ein ganz persönlicher Stadtführer

von Rainer Kaufmann
ca. 340 Seiten mit vielen schwarz-weiß-Abbildungen
ISBN 978-3-929184-26-5
Preis: € 19,60
rainer.kaufmann@erka-verlag.de

In Anlehnung an sein kürzlich veröffentlichtes Buch „Elternstadt Bruchsal – ein ganz persönlicher Stadtführer“ durfte das Team von KraichgauTV in den Genuss einer dieser Stadtführungen kommen, die der Journalist von Zeit zu Zeit anbietet und uns wurde ein kleiner Einblick in die Welt eines Bruchsals vor langer Zeit gewährt.

Mahnmal im Bürgerpark

Ganz unter dem Motto „Bruchsal und die Freiheit“ wurde uns während der Führung klar: Unter der so schönen Fassade von Bruchsal als Barockstadt und der Residenz des speyerischen Fürstbischofs kommt ein weniger prunkvoller Aspekt der Stadt zum Vorschein. Und genau diesen Aspekt lässt uns die Stadt bis heute nicht vergessen: Im Areal des Bürgerparks im Herzen Bruchsals führte Kaufmann zuerst ein in die Situation der damaligen Zeit. Einer Zeit von Freiheitsbestrebungen und Unterdrückung und von dem unerlässlichen Versuch sich dieser zu entziehen. An verschiedenen Stationen klärt Kaufmann über die teils düsteren Ereignisse auf, die sich im Zentrums Bruchsals abgespielt haben. Nach einem Besuch des Bürgerparks, in welchem sich auch ein Mahnmal befindet, das an 55 geköpfte Insassen des damaligen psychiatrischen Gefängnisses erinnern soll und vor allem warnen soll, vor der Terrorjustiz des NS-Regimes.

Wohnhaus von Lorenz Brentano, Am Alten Schloss 9

Ein befremdliches Gefühl, wenn man sich vorstellt, dass der Bürgerpark, der heute ein Ort der Ruhe und der Auszeit darstellt, vor nicht allzu langer Zeit ein Ort des Grauens und des Todes war. In Anbetracht der Badischen Revolution von 1848/49 führte uns Kaufmann weg vom Bürgerpark und hin zum Brentano-Haus, die ehemalige Residenz von Lorenz Brentano, einem der Anführer der Revolution und deshalb auch zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, jedoch sein Glück in Amerika fand.

Verlässt man nun das Brentano-Haus nach rechts, so gelangt man auf eine Straße, die bestückt ist mit prächtigen Barockbauten, doch der Schein trügt: Hier befand sich zu Zeiten des 2. Weltkriegs eine Wehrmachtsstrafgefängnis, das womöglich auch einige Opfer forderte.

Der Bergfried atmet die Geschichte Bruchsals.

Die schöne Aussicht vom Bergfried auf Bruchsal ist nicht der einzige Vorzug, den er bietet, beziehungsweise geboten hat: In seinen Hochzeiten war er Wach- und Verteidigungsturm der Fürsten und Bischöfe. Er atmet also regelrecht die Geschichte des Freiheitskampfs von Bruchsal.

Die Geschichte Bruchsals ist also nicht nur regional von großer Bedeutung. Es ist offenbar so,  dass man sagen kann, die Vergangenheit ganz Deutschlands werde hier regelrecht codiert. Rainer Kaufmann lässt so einerseits in seinem Buch und andererseits in seinen bekannten Stadtführungen viele Ereignisse der Stadtgeschichte wieder aufleben und ist damit eine Art „Geschichtsschreiber“.

Bruchsal-Stadtführung | Zwischen Unterdrückung und Freiheit (Archiv 2020)

Text und Bilder: Hannah Müller

Aus RegioMagazin WILLI 4/20

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Siehe auch

RAINwurf | Ludwig Marum – im Schönborn-Gymnasium noch immer unter ferner liefen?

12.3.24 | Gastkommentar von Rainer Kaufmann. Nein, sie haben ihren Ludwig Marum nicht vergessen im …

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