WILLI-Reportage | Sommertagsumzug – eine Tradition

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Der Sommertagsumzug ist ein uralter heidnisch-christlicher Brauch von dem schon im Jahr 1534 nachzulesen ist. In Bruchsal gibt es Aufzeichnungen aus einem Ratsprotokoll von 1792, dass zwei junge Burschen als Sommer und Winter verkleidet durch die Straßen der Stadt zogen, begleitet von einer Gruppe Schülern.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts schlief der Sommertags-Brauch langsam ein. Die Altbruchsaler Sebastian Schwaninger und Drehermeister Alexander Lang beobachteten 1901 zufällig bei einem Ausflug nach Heidelberg den dort zelebrierten Umzug anlässlich des Sonntag Laetare (Mitte der Fastenzeit) und erzählten bei ihrer Rückkehr in der Bahnhofsgaststätte dem Wirt Ferdinand Keller begeistert von dem bunten Treiben. Ob es an den tollen Eindrücken oder dem anschließenden Alkoholkonsum lag ist nicht überliefert, jedenfalls beschloss diese honorige Wirtschaftsrunde in Bruchsal wieder einen Sommertagsumzug zu veranstalten. Als Männer der Tat haben sie diese Absicht schon ein Jahr später umgesetzt und am 11. März 1902 zogen viele Kinder mit bunten Stecken fröhlich durch Bruchsal. Sogar ein Trommler und Pfeifferkorps waren schon dabei.

Sommertagszug 1954 mit dem Schneemann vom Ski-Club Bruchsal, Foto: SCB

 

Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges war der Termin immer im März, mit dem Hintergrund der Winteraustreibung. Dann gab es leider eine lange Pause. Aber schon 1922 hielten die Not und die schlechten Rahmenbedingungen die Menschen nicht mehr davon ab, wieder einen fröhlich-bunten Umzug zu starten. Trotz Arbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise suchten die Menschen eine Aufheiterung in dem jährlich stattfinden Vergnügen. Unvermeidlich wurden die Umzüge ab 1935 für politische Zwecke ausgenutzt. Reiter der SS begleiteten nun den Zug und die Trommler und Pfeiffergarde wurden vom Spielmannszug des Jungvolkes abgelöst. Bis 1939 zogen die politischen Führer ihre Propagandaschau noch durch, dann kam erneut eine lange Pause von 11 Jahren.

Am 7. Mai 1950 führte endlich wieder ein Schülerzug durch das kriegswunde Bruchsal. Mit bescheidenen Mitteln schmückte man die Stecken und Gefährten zur Freude von 40.000 dankbaren Menschen, die sich nach Frühling, Sonne, Glück und Frieden sehnten. Laut alten Programmheften hatte der Zug damals über 100 Teilnehmergruppen. Von den »Oberprimaner« des Gymnasiums angefangen über ASV und TSG bis zu den jüngeren Schul- und Kindergartenkindern gab es fast alle Altersstufen. Als Tageseinleitung zog die Trommler und Pfeiffergruppe schon früh morgens um 6.30 Uhr durch die Straßen Bruchsals. Das wäre heute keine große Freude mehr. Beendet wurde der Umzug dann am Nachmittag mit einer feierlichen Gerichtssitzung wo der Schneemann zum Tode verurteilt und anschließend auf dem Holzmarkt verbrannt wurde. Verschiedene Hinrichtungsstätten des Schneemannes sind überliefert. Zuerst vermutlich der Bereich große Brücke / Holzmarkt, dann später der Friedrichsplatz, der Bergfried, der Schlossspielplatz und seit vielen Jahren nun der Ehrenhof des Schlosses.

In den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwunges wurde die Vorbereitungszeit der Umzüge immer länger, der Aufwand immer größer und als 1965 der erste Bruchsaler Fasnachtsumzug gestartet wurde, fanden sich keine Verantwortlichen mehr für diese Art der kindlichen Brauchtumspflege.

Glücklicherweise besannen sich Anfang der 1980er Jahre wieder eine Gruppe von interessierten Bürgern auf diese alte Tradition zurück und gründeten das neue Sommertagszugs-Komitee. 1984 fand der erste Sommertagsumzug der „Neuzeit“ statt.

Ski-Club Bruchsal
Bauherren des Schneemanns

Seit 1949 ist der Skiclub Bruchsal für den Bau des Schneemannes verantwortlich. Die erste Konstruktion wurde im Hof der Familie Blaschek (damals Blumenstrasse 13) gebaut. Obwohl ringsum noch alles in Trümmern lag, entstand ein fröhlich lachender Geselle, so groß, dass man sogar hinein klettern konnte. Jedes Jahr hatten die Skiclübbler dann neue Ideen.

Einmal baute man einen Schneemann, dessen Kopf man drehen konnte. Dazu stieg Otto Blaschek selbst ins Innerste und drehte während der Fahrt den Kopf hin und her. Ein Jahr später verpassten die Bauherren dem Schneemann eine bewegliche Zunge, damit konnte, je nach dem wer am Straßenrand stand, die Zunge ausgestreckt und wieder eingerollt werden. Jeder weiße Riese war auf seine Weise ein Unikat, immer wieder wurde etwas verändert. Die nächste Generation Schneemänner wurde von Werner Hoffmann auf dem Gelände der Firma Gipser Knoch in der Württemberger Strasse gebaut, ab 2008 hat Christoph Laier die Gestaltung übernommen.

Traditionell gezogen und begleitet, wird der Schneemann von Aktiven des SCB in weißen Hemden und Zylinder um dem Winter ein standesgemäßes Begräbnis zu liefern.

Text: Text: Andrea Bacher-Schäfer, Bilder : WILLI-Leser, SCB-Archiv

Aus RegioMagazin WILLI 05/2023

 

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