WILLI-Kommentar | Win-Win – Flüchtlinge in der alten Feuerwehrschule Bruchsal

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Schien beim Bürgerempfang der Bruchsaler Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick noch Friede-Freude-Eierkuchen, als die Gastgeberin mediengerecht in eine mitgebrachte Schatzkiste griff und durch ein hübsches Fernrohr blickte, so war dieser lockeren kommunalpolitischen Stimmung keine lange Halbwertszeit beschert. Ganz im Gegenteil.

Denn der Schatz, den die beiden Vertreter Stephan Lehr und Markus Rothfuß aus dem Justizministerium der Landesregierung drei Tage danach in die Bruchsaler Gemeinderatssitzung brachten, besaß gewaltige Sprengkraft. 500 Flüchtlinge wolle man in einer Erstaufnahmeeinrichtung (EA) befristet für fünf Jahre auf dem landeseigenen Gelände der ehemaligen Landesfeuerwehrschule unterbringen.

Eine grüne Bundespolitikerin wie Katrin Göring-Eckardt, Parteikollegin Petzold-Schicks, hätte diesen Plan vielleicht als Geschenk betrachtet, die überwältigende Mehrheit des Bruchsaler Gemeinderats sah dies aber anders. Fast unisono nahm man kein Blatt vor den Mund und ließ die beiden Landesbeamten wissen, dass man sich teilweise verschaukelt fühle, da die Landesregierung jahrelang eine Wohnbebauung auf diesem Areal verhindert hatte.

Nun wolle man nicht noch einmal genarrt werden und sich nicht mit vagen Versprechen abspeisen lassen. Besonders die Räte Hans-Peter Kistenberger, Gerhard Schlegel, Jürgen Wacker und Roland Foos für CDU, SPD, FDP und FW ließen Lehr recht deutlich wissen, dass sie sich soweit möglich gegen die EA-Pläne stemmen würden, insbesondere dann, wenn kein notariell abgesicherter Kauf des Grundstückes durch die Stadt ermöglicht werde und damit nicht sichergestellt sei, dass das Grundstück nach fünf Jahren in städtische Hand komme.

Landesregierung sitzt am längeren Hebel

Allen Sitzungsteilnehmern war dabei klar, dass die Landesregierung am längeren Hebel sitzt; offensichtlich wollte der Gemeinderat dennoch zeigen, dass man wenigstens einigen Sand ins Getriebe der Landesregierung streuen werde, sollte diese sich kompromisslos zeigen. Und so war auch Lehr in seinen Statements bemüht, jegliche Schärfe zu vermeiden. Eingangs beschrieb er mit blumigen Worten die weltweiten Flüchtlingskrisen und meinte, auch Baden-Württemberg müsse seinen humanitären Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten.

Wohl aus guten Gründen legte er nur Zahlen zu globalen Migrationsströmen vor und überging geflissentlich jegliche Daten zur völlig unverhältnismäßigen europäischen Verteilung der Flüchtlingsströme. Ebenso betonte er die seiner Meinung nach hohen Schutzquoten, unterschlug allerdings die Problematik des Umgangs mit abgelehnten Asylbewerbern. Was Lehr aber unverblümt klarstellte: Stuttgart rechnet in Zukunft eher mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen und aktiviere daher alle mobilisierbaren Unterbringungsmöglichkeiten und baue weitere aus.

Finanzielle Entlastung durch EA?

Danach legte Lehr ein gewissermaßen vergiftetes Angebot auf den Tisch. Der Grundtenor: Sollte die Stadt Bruchsal keine Schwierigkeiten machen und die EA durchwinken, so werde sich sein Ministerium dafür einsetzen, dass die Stadt nach fünf Jahren Grundstückseigentümer werde und dort dann eine Wohnbebauung befördern könne. Allein, unterschriftsreif sei noch nichts, da dies mit dem zuständigen Finanzministerium auszuhandeln sei. Ob der eher ungewöhnliche Anruf von Finanzminister Daniel Bayaz bei Petzold-Schick noch Stunden vor der Gemeinderatssitzung die Angelegenheit dahingehend beschleunigen sollte, blieb das Geheimnis der Rathauschefin.

Darüber hinaus versuchte Lehr sein Angebot weiter zu versüßen, winke der Stadt doch für die fünf EA-Jahre das Privileg, in dieser Zeit keinen Wohnraum für Flüchtlinge in der sogenannten Anschlussunterbringung bereitstellen zu müssen. Insgesamt sei dies dann doch für Stadt und Land eine Win-Win-Situation. Dies war scheinbar derart überzeugend, dass selbst die Lokalzeitung danach ins gleiche Horn blies und die Meinung vertrat, die EA könne für Bruchsal zu beträchtlichen (finanziellen) Entlastungen führen.

Keine Gemeinde reißt sich um Unterbringung

Dass am Ende dieses Geschachers Gemeinden gegeneinander ausgespielt werden und das Ganze zunehmend zu unhaltbaren, politisch völlig verfahrenen Zuständen führt, die eher einem Verschiebebahnhof ähneln, übersehen manche im Eifer des Gefechts zu gerne. Oder meint jemand tatsächlich, ein EA-Privileg für Bruchsal lindere die Flüchtlingssituation in der Region insgesamt und Gemeinden wie Waghäusel (Stichwort mehrstöckige Containeranlage) würden dadurch gar irgendwie entlastet?

Mittelfristig hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Devise ausgegeben, auch gegen kommunalen Widerstand Erstaufnahmeeinrichtungen zu projektieren und diese in Zukunft nicht mehr zu befristen. Bruchsal, so war bisweilen der unterschwellige Tenor der beiden Vertreter der Landesregierung, solle doch froh sein, noch schnell das Privileg der Befristung zu bekommen!

Bundespolitisch steht die Ampel weiterhin auf Durchzug

Dazu muss man wissen, dass das Land tatsächlich bei allen 1101 Gemeinden Baden-Württembergs nach Flächen und alternativen Unterbringungsmöglichkeiten anfragte. Die Rückmeldungen waren recht dürftig: Nicht eine einzige Gemeinde reagierte positiv! Aber was lernen Landes- und Bundespolitik aus diesem Befund? Wohl wenig bis nichts. Bundespolitisch stellt die Ampel weiterhin auf Durchzug und die Landesregierung sieht sich gern als Erfüllungsgehilfe unabänderlicher Richtlinien aus Berlin. Muss man sich da wundern, wenn einige Zeitgenossen die Regierungsvertreter verschiedenster Couleur als zunehmend unfähig ansehen, politische Probleme zu lösen? Soll allein die Kommunalpolitik ausbaden, was auf höherer Ebene seit Jahren vergeigt wird?

Übrigens: Rothfuß war sichtlich bemüht, die Schlagkraft der EA-Betreuerteams auf allen erdenklichen Ebenen darzustellen. Für alles sei gesorgt, die Sicherheit garantiert. Zwar konnten die beiden Landesbeamten die Kosten der Umbaumaßnahmen in Bruchsal nicht beziffern, es entstand aber der Eindruck, dass es am Geld sicherlich nicht scheitern werde. Das Management von EAs sei inzwischen vorzüglich, die EA-Maschinerie gut geölt. Selbst die reguläre medizinische Versorgung sei durch ein vor Ort stationiertes Team gesichert.

All dies schien zwar einige der Zuhörer zu beruhigen, für viele Bürger, deren Gelder gekürzt werden, deren Mieten steigen, deren Wohnraum knapp ist oder deren lokale medizinische Versorgung schwächelt (Stichwort Notaufnahme) mag diese politische Schwerpunktsetzung angesichts der völlig ungleichen europäischen Lastenverteilung aber wie Hohn klingen!

Text: Hubert Hieke

Aus RegioMagazin WILLI 04/2024

 

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