WILLI-Reportage | Nachgedacht: Wahlrechtsreform

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Fliegt Olav Gutting bald aus dem Bundestag?

Wie unserem direkt gewählten Vertreter im Deutschen Bundestag, Olaf Gutting, wohl zumute war, als er auf ZEIT ONLINE kürzlich lesen musste, dass er seinen Sitz im Bundestag verlöre, wären die Pläne der Ampelkoalition zur Wahlrechtsreform schon heute in Kraft?

Während in den USA fast eine Million Bürger auf Bundesebene durch einen einzelnen Parlamentsabgeordneten vertreten werden, sitzt pro Einwohner bei uns inzwischen fast die zehnfache Anzahl an Volksvertretern im Bundesparlament. Tendenz steigend!

Im Landtag Baden-Württembergs werden die gut 11 Millionen Bürger von nicht weniger als 154 Parlamentariern vertreten. Und bei neuerlichen Bestrebungen, durch die Krücke einer Wahlrechtsveränderung die Frauenquote im Landesparlament anzuheben, gilt hinter vorgehaltener Hand nicht unbedingt die Frauenquote, dafür aber etwas anderes als recht gesichert: Die Anzahl der Volksvertreter wird zunehmen! Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Das Ganze wäre weniger misslich, stünde in den Bundes- und Landesparlamenten die Anzahl der Abgeordneten in direktem Zusammenhang zum Arbeitsergebnis. De facto tritt inzwischen aber das Gegenteil ein. Kein maßgeblicher Bundespolitiker bestreitet die Ineffizienz der Berliner Parlamentsarbeit, die den Steuerzahler inzwischen einen Milliardenbetrag kostet.
Offensichtlich spielt die Verteidigung eines effizienten und damit stabilen demokratischen Systems für einige unserer Parlamentarier eine weit weniger wichtige Rolle als Postengeschacher und Parteipfründe. Dabei gibt es eigentlich schon jetzt genügend halbstaatliche Organisationen, um abgehalfterte Repräsentanten zwischen- oder gar endzulagern.

Was hat nicht allein die SPD in den letzten Jahren an gescheiterten baden-württembergischen Landesvorsitzenden in den Bundestag weiterkomplimentiert. Aber nicht nur bei den Sozialdemokraten fallen Politiker irgendwie immer auf die Füße. Der Wähler scheint sich damit schon lange stillschweigend abgefunden zu haben.

Sollte es tatsächlich zu Reformen kommen, so könnten diese auf lokaler Ebene zu punktuell drastischen Eingriffen führen.

Und welche Ambitionen hegen die Abgeordneten in den Wahlkreisen vor Ort? Die Lage ist eher unübersichtlich und lässt sich nur beispielhaft darstellen. Hat Christian Jung, derzeit über den Brettener Wahlkreis FDP-Vertreter im Landtag, nicht so lange sein Parteibuch und danach Wahlkreis und Mandat gewechselt, bis er auf einem ihm vermeintlich sicheren Landtagsmandatssessel Platz fand? Und suchte nicht sein direkt gewählter Bruchsaler Kollege Ulli Hockenberger von der CDU nach einer politisch adäquaten, wenig nervenaufreibenden Anschlussverwendung, nachdem er jegliche Ambitionen und sämtliche Lust an der Kommunalpolitik verloren hatte?

Für aufgeklärte Zeitgenossen, die fest auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung stehen, für parteipolitisches Geschacher um Pfründe und Pöstchen allerdings wenig übrighaben, ist die derzeit wieder aufflammende Debatte um die Reform des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag alles andere als Geplänkel. Geht es doch darum, einen aufgeblähten, ineffizienten Apparat zurechtzustutzen! Keine Partei stellt die Notwendigkeit einer Änderung der derzeitigen Situation in Frage, allein der Weg dahin ist steinig, es gilt parteipolitische Fallstricke zu vermeiden und man gerät schnell ins Unterholz.

Egal ob sich am Ende die Ampel- oder Unionsvariante der Parlamentsreform in Berlin durchsetzt: Der Bürger würde fast jeden dieser Vorschläge billigen, fürchtet er doch die Lähmung, die in dieser Frage die Parlamentarier regelmäßig ergreift. Sollte es aber tatsächlich zu Reformen kommen, so könnten diese auf lokaler Ebene zu punktuell drastischen Eingriffen führen. Wie sähe es denn im Wahlkreis 278, dem sogenannten Spargelwahlkreis Bruchsal-Schwetzingen aus? Dort ist Olav Gutting bisher der Platzhirsch.

Käme die Wahlreform der Ampelkoalition schon heute zur Anwendung, so flöge Gutting nach Berechnungen von Zeit-Online aus dem Bundesparlament. Weshalb? Gutting holte im Vergleich zu seinen baden-württembergischen CDU-Kollegen bei der letzten Wahl schlichtweg nicht genügend Stimmen, um in einem verkleinerten Parlament ohne Direktmandatsgarantie vertreten zu sein.

Kritiker des Vielverdieners (verdienen kommt wohl nicht zwangsläufig von dienen…) Gutting wären wahrscheinlich nicht unglücklich, wenn der Abgeordnete sich fortan auf seine bisherige Haupteinnahmequelle, die Anwaltstätigkeit, konzentrieren könnte. Dass der Bundestagswahlkreis Bruchsal-Schwetzingen allerdings verwaist wäre und weder durch einen direkt gewählten noch durch einen über die Parteilisten abgesicherten Abgeordneten in Berlin vertreten wäre, mag dann doch für die meisten Zeitgenossen des Guten zu viel sein. Wenigstens solange sich der jeweilige Vertreter des Volkes in Berlin hauptsächlich seinem eigentlichen Mandatsauftrag widmet!

 

Text: Hubert Hieke

Aus RegioMagazin WILLI 01/2023

 

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