RAINwurf 18 | Zu kurz geduscht? (Archiv 2022)

28.7. | Gastkommentar von Rainer Kaufmann

Schon mitbekommen? Neben den Kalt- und Warmduschenden soll es künftig eine dritte Kategorie von Hygiene-Freaks geben, die Kurzduschenden. Politiker aller Hierarchie-Ebenen werden seit Wochen nicht müde, die Bevölkerung an ihre Verantwortung angesichts der drohenden Energiekrise zu erinnern und mahnen eine völlige Revolution des Duschverhaltens an. Zum Beispiel unser Landesvater Kretschmann, der die Dusch-Höchstzeit sogar bei zwei Minuten begrenzen möchte, andere sprachen immerhin von fünf Minuten. Und das – wohlgemerkt – nicht einmal jeden Tag. Einmal pro Woche sollte reichen.

Auch die Bruchsaler Stadtwerke mahnen ihre Kunden zum Restriktiv-Duschen und das sogar im Amtsblatt der Stadt Bruchsal, mithin mit höchstem lokalen Verwaltungssegen, den man haben kann. Sie geben ab sofort wöchentlich konkrete Tipps wie den, das Duschwasser abzustellen, solange man sich die Haare shamponiert oder den Körper einseift. Anders als der Stuttgarter Regierungschef genehmigen sie dafür großzügige fünf Minuten unter dem Duschkopf, allerdings mit dem Hinweis, sich zuvor einen Wasser-sparenden Duschkopf zuzulegen. Die Frage wäre dabei aber: Wie viele Dusch-Minuten müssen dann erst einmal eingespart werden, um den Energie-Aufwand bei Herstellung, Vertrieb und Einbau des neuen Duschkopfes erst einmal zu realisieren? Gibt es da eine gesamt-ökologische Energie-Bilanz?

Die Bruchsaler Stadtwerke sind da sicher keine Ausnahme, landauf-landab, wird die oberste Maxime propagiert: Jede Kilowattstunde Strom, die wir beim Heizen, Duschen, Kochen, Waschen etc. einsparen, hilft uns, die Versorgungsrisiken des Winters einigermaßen überleben zu können. Das alles hat seine Berechtigung und soll hier nicht angezweifelt oder gar ins Lächerliche gezogen werden, etwa nach dem Motto: Kurzduschen für den Frieden. Kurzduschende zahlen es Putin heim. Die Sache ist für Scherze dieser Art viel zu ernst.

Nur: Welche Ratschläge haben Regierungen und Energieversorger, wenn es um den Energieverbrauch in der Öffentlichkeit geht? Zum Beispiel bei der Beleuchtung von Parkhäusern selbst auf der nach oben offenen Dach-Etage schon ab 18:00 Uhr, also noch bei Tageslicht?

Oder: Welche Ratschläge haben die Stadtwerke zum Beispiel für die Bruchsaler Marketing-Selbstdarstellenden bei Straßenfesten oder Schloßfestivals? Haben sie da schon einmal vorgerechnet, wie viele Kilowattstunden Strom eingespart werden könnten, wenn man auf die eine oder andere Illumination verzichten würde, sofern diese nicht unbedingt zum Kulturgenuss gehört?

Oder bei Riesenrädern, die seit einiger Zeit anscheinend unverzichtbar zum vorweihnachtlichen Flair einer attraktiven Innenstadt gehören?

Oder bei Straßenfesten mit Schaukochen auf Bühnen, vor denen nur wenige Zuschauer überhaupt Platz finden?

Oder bei eventuellen Fassadenbeleuchtungen, die triste Herbstabende aufhellen sollen?

Können die Stadtwerke wirklich tatenlos zuschauen, wenn Brusl dann „wieder mal leuchten“ darf, wie bereits angekündigt. Oder anders herum gefragt: Wie viele Duschminuten und Temperaturgrade im Duschwasser muss jeder Hygiene-Freak in der Stadt einsparen, damit diese leuchtenden Ereignisse einigermaßen energieneutral und damit überhaupt verantwortbar abgewickelt werden können?

Wieviel Verzicht an Lebensqualität können die Stadtoberen noch einfordern?

Die Liste all dieser Fragen könnte sicher verlängert werden. Vielleicht machen sich die Stadtoberen in Politik, Verwaltung und Infrastruktur in naher Zukunft einmal Gedanken darüber, wie viel Verzicht an Lebensqualität sie von ihrer Bevölkerung noch einfordern können, ohne dass die Institutionen aller Verwaltungsebenen mit leuchtendem Beispiel vorangehen? In diesem speziellen Fall bedeutet das natürlich, dass die öffentliche Selbstdarstellungs-Hände zunächst einmal lernen müssen, ihr Licht, mit dem sie zu strahlen hoffen, unter den Scheffel der Sparsamkeit zu stellen? Wie wäre es, wenn die Verwaltungen und ihre zugeordneten Stellen Vorbilder sein würden in einer neuen Disziplin: dem Einsparen einer jeden nur möglichen Kilowattstunde Strom?

Über Rainer Kaufmann

Der gebürtige Bruchsaler Rainer Kaufmann ist Journalist, Gastronom, Gründer des 1. Bruchsaler Stadtkabaretts, war in den 90er Jahren Veranstalter von mehrtägigen Kulturevents im Schlachthof und im Atrium des Bürgerzentrums (auf eigene Rechnung!) und beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit der Geschichte seiner Heimatstadt – ob in TV-Dokumentationen, Büchern („Seilersbahn – ein Weg Geschichte“, „Elternstadt Bruchsal“), Theaterstücken („Unschädlichmachungen“), Kabarett-Aufführungen, Vorträgen oder als Stadtführer.

Landfunker nimmt das Angebot des oft unbequemen Rainer Kaufmann gerne an, in Form von Gastkommentaren seinen Leserinnen und Lesern eine andere Bruchsal-Perspektive zu bieten, die in der Regel jenseits der Selbstbelobigungen der Amtsblätter oder der Pressemitteilungen an die hiesigen Tageszeitungen und Internetportale liegt.

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