Drei Mal "Hundert Jahre": Ortsvorsteher Uwe Freidinger zeigt die Marke vom 13. August 2024

Das Schwierigste ist, dass fast ein Dutzend Familien ihre Wohnungen verloren haben

21.8.24 Heidelsheim | Während wir am Donnerstag miteinander sprechen, klingelt ständig Freidingers Mobiltelefon. Menschen fragen, wie sie spenden können, andere suchen Rat und Hilfe. Rund 100 Kilometer hat Freidinger nach eigenen Angaben in den letzten acht Tagen seit der Flutkatastrophe mit seinem Rad in Heidelsheim zurückgelegt, um immer möglichst vor Ort zu sein.

Das Interview mit Ortsvorsteher Freidinger führte Hubert Hieke

Wie ist die Situation in Heidelsheim, gut eine Woche nach dem verheerenden Hochwasser?

Freidinger: Langsam kehrt wieder Normalität ein. Es ist unglaublich, mit welcher Solidarität und welchem Zusammenhalt die Heidelsheimer die Situation meistern.

Wer wurde vom Hochwasser am meisten betroffen?

Freidinger: Hunderte Familien sind in Heidelsheim betroffen, am stärksten jedoch im Hochwasserrisikogebiet Wettgasse und Turmweg, wo das Wasser bis zu 1,90 Meter in den Straßen stand. Dort überwiegt einerseits die Freude, dass niemand zu Schaden kam, allerdings sind hier beträchtliche Sachschäden, teilweise im hohen sechsstelligen Bereich zu verzeichnen. Betroffene sind nicht immer versichert, können sich teilweise auch gar nicht zu vertretbaren Bedingungen versichern. Das Schwierigste ist, dass fast ein Dutzend Familien ihre Wohnungen verloren haben.

Wie geht es diesen Menschen?

Freidinger: Die Situation ist sehr schwierig. Teilweise wurden die Betroffenen privat bei Bekannten und Verwandten, aber auch durch die Stadt Bruchsal untergebracht. Das Problem ist, dass die Wohnungen völlig überflutet waren und diese Gebäude nur schwer sanierbar sind.

War Heidelsheim vom Hochwasser gewissermaßen doppelt getroffen?

Freidinger: Zusätzlich zum Starkregen kam ja die Flutwelle der Saalbach aus Bretten, Gondelsheim und Helmsheim, die daher die tiefliegenden Heidelsheimer Straßenzüge in kürzester Zeit komplett überflutete.

Würden Sie das Hochwasser als Jahrhundertflut bezeichnen?

Freidinger: Auf jeden Fall. 1931 gab es das letzte große Hochwasser. Ältere wissen aus Erzählungen, dass die Kühe in den Ställen ertranken. Zwar gab es danach auch kritische Situationen, aber nicht so verheerend wie letzte Woche.

Weshalb hat das Frühwarnsystem nicht funktioniert?

Freidinger: Das Ausmaß des Unwetters war auf Radarschirmen so nicht erkennbar und wurde deshalb nicht angezeigt. Es war eine sehr untypische Lage mit mehreren Gewitterzellen. Laut Deutschem Wetterdienst sollte es eher an Bruchsal vorbeiziehen. Einzelzellen schlossen sich dann aber zu einer großen Gewitterzelle zusammen.

Überregionale Stellen konnten uns deshalb auch nicht warnen. Noch Minuten vor der ersten Flutwelle durch Heidelsheim rechneten die meteorologischen Dienste zwar mit Regenfällen, allerdings mit einer unspektakulären Wetterlage. Die Situation entwickelte sich dann rasend schnell. Selbst die Feuerwehr war überrascht! Das erste Gewitter ging noch vorbei; fünf Minuten danach ging es dann aber richtig los. Zusätzlich entwickelte die Saalbach von Bretten her eine extreme Fließgeschwindigkeit und 40 Kubikmeter Wasser kamen pro Sekunde auf Heidelsheim zu.

Aufgrund dieser schwierigen Umstände bestand keine Gelegenheit zur Vorwarnung. Auch konnten die Menschen daher leider nicht über Funk oder Radio vorab gewarnt werden. Der Deutsche Wetterdienst sah aufgrund seiner Prognosen ebenfalls keinen Grund für eine spezifische Unwetterwarnung.

Waren Sie zufrieden mit den Einsätzen der Hilfskräfte?

Freidinger: Es war phänomenal, wie sich Feuerwehr, Rettungsdienste, DLRG und THW engagierten. Mobile Strom- und Lichtmasten sorgten für eine Ausleuchtung der Einsatzstellen. Unglaublich, wie sich viele Bürger und Vereine engagierten. Und nicht zu vergessen die Landwirte und private Firmen. Nach einigen Tagen konnte auch die Bundeswehr zum Einsatz kommen. Ihnen allen gilt der Dank der Bevölkerung.

Wie geht man mit den Sachschäden um?

Freidinger: Schätzungsweise 2500 Kubikmeter Schutt und Sperrmüll sind schon oder werden derzeit noch entsorgt. Eine fast unglaubliche Menge. Hinzu kommen noch ungefähr 400 Tonnen Schlamm, die die Betroffenen aus den Anwesen, Häusern, Höfen und Garagen schafften und von den sehr engagierten Mitarbeitern des Bauhofs inzwischen weggeschafft wurden.

Welches vorläufige Fazit ziehen Sie?

Freidinger: Bei aller Anstrengung überwiegt der Gedanke, dass keine Menschenleben zu beklagen sind und niemand schwer verletzt wurde, wenngleich die Sachschäden erheblich sind. Sicherlich sollten wir daraus lernen, den Hochwasserschutz noch stärker voranzutreiben. Das gilt auch für die Eigentümer in Risikogebieten. Denn es wäre naiv zu glauben, ein solches Ereignis könne sich nicht wiederholen. Ich möchte aber mit einer positiven Anmerkung enden: Es ist erstaunlich, was wir als Gemeinschaft auch in schwierigen Situationen erreichen können, wenn wir zusammenhalten!

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