WILLI-Reportage | Noble Straßennamen in der Bahnstadt Bruchsal – Teil 2 (Archiv 2022)

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Willy Brandt und Heinrich Böll werden wohl die Meisten kennen, auf unsere deutschen Nobelpreisträger sind wir sehr stolz. Die Französin Marie Curie hat sogar zweimal den Nobelpreis bekommen, das wissen schon weniger. Aber wer sind Bertha von Suttner, Elie Wiesel und Nelly Sachs? Auch sie haben den berühmten schwedischen Ehrenpreis in verschiedenen Kategorien bekommen.

Als der Gemeinderat Bruchsal die Bebauung des alten Messplatzgeländes beschloss, die Neugestaltung der „Bahnstadt Bruchsal“ begann, hat man sich darauf verständigt, dass die neuen Straßen mit Namen von Nobelpreisträgern benannt werden sollen. Über diverse Vorschläge wurde diskutiert, sechs Menschen wurden ausgewählt.

Nelly Sachs

(*10.12.1891 Schöneberg, †12.05.1970 Stockholm)

Nelly Sachs war eine jüdische deutsch-schwedische Schriftstellerin und Lyrikerin. 1966 verlieh das Nobelpreiskomitee ihr – gemeinsam mit Samuel Joseph Agnon – den Nobelpreis für Literatur „für ihre hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren“.

Nelly Sachs kam 1891 in Schöneberg als Kind des Ingenieurs, Erfinders und Fabrikanten Georg William Sachs und seiner Frau Margarete zur Welt. Sie wuchs in einer großbürgerlichen, assimilierten jüdischen Familie auf. In ihrer Jugendzeit hatte sie den Wunsch, Tänzerin zu werden. Einige Jahre später begann dann ihre Leidenschaft für die deutsche Lyrik und das Schreiben von Gedichten.

Mit 15 Jahren war sie so fasziniert von Selma Lagerlöfs Debütroman Gösta Berling, dass sie mit der schwedischen Schriftstellerin in einen Briefwechsel eintrat, der über 35 Jahre andauerte. Erste eigene Gedichte schrieb Nelly Sachs mit 17 Jahren, 1921 erschien ihr erster Gedichtband unter dem Titel Legenden und Erzählungen. Sie lebte mit ihren Eltern zurückgezogen und nahm wenig am gesellschaftlichen Leben teil.

Ende der 1930er Jahre hatten alle Mitglieder der Familie bereits Berlin verlassen. Freunde und Bekannte wurden drangsaliert, viele waren aus dem Land gedrängt worden, so dass auch ein geistiges Leben zunehmend unmöglich geworden war. Mutter und Tochter lebten möglichst unauffällig und zurückgezogen. Aufgewachsen in einer liberal-jüdischen Familie, suchte sie in den Jahren äußerer Bedrohung und seelischer Not den Zugang zur Religion. In späteren Jahren verband sie in ihrem Denken das jüdische Gedankengut mit der Ideenwelt auch nicht-jüdischer Mystiker.

Flucht nach Schweden und Literaturnobelpreis

Erst spät entschloss sich Nelly Sachs, mit ihrer Mutter aus Deutschland zu fliehen. Es gelang ihr, ein Empfehlungsschreiben von Selma Lagerlöf zu erhalten. Nach monatelangen bürokratischen Hemmnissen konnten Nelly Sachs und ihre Mutter im Mai 1940 buchstäblich im letzten Moment – der Befehl für den Abtransport in ein Lager war bereits eingetroffen – Deutschland Richtung Stockholm verlassen.

In Schweden lebte sie unter ärmlichen Verhältnissen. Nelly Sachs kümmerte sich um ihre alte Mutter und arbeitete zeitweise als Wäscherin, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die schwedische Staatsbürgerschaft erhielt Nelly Sachs erst im Jahr 1953.

Nelly Sachs ist die erste Schriftstellerin, welche die Schornsteine von Auschwitz zum Thema ihrer Verse machte:

O die Schornsteine
Auf den sinnreich erdachten
Wohnungen des Todes,
Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch
Durch die Luft –
Als Essenkehrer ihn ein Stern empfing
Der schwarz wurde
Oder war es ein Sonnenstrahl?“

– O die Schornsteine, aus:
In den Wohnungen des Todes, 1947

Blick in die Nelly-Sachs-Straße in Bruchsals Bahnstadt

Nach Ansicht von Jacques Schuster gibt es im deutschsprachigen Raum überhaupt nur zwei Schriftsteller, „die es vermochten, das jüdische Schicksal in Worte zu fassen: Paul Celan und Nelly Sachs“.

Als erste Frau erhielt sie 1965 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

An ihrem 75. Geburtstag erhielt Nelly Sachs am 10. Dezember 1966 zusammen mit Samuel Joseph Agnon den Literaturnobelpreis. Ihr Preisgeld verschenkte sie zur Hälfte an Bedürftige, die andere Hälfte ging an ihre alte Freundin Gudrun Harlan. Sie selbst zog sich in ihren letzten Jahren wieder von der Öffentlichkeit zurück.

 

Wer bestimmt eigentlich die Straßennamen?

Früher gab es in der Kernstadt Bruchsal die Schillerstraße, die Obergrombacher Straße und noch ein paar weitere mehr. Viele Straßen mussten in den 1970er Jahren im Zuge der Eingemeindung der fünf umliegenden Gemeinden Büchenau, Untergrombach, Obergrombach und Heidelsheim geändert werden, da eine doppelte Vergabe des selben Straßennamens innerhalb einer Gemeinde nicht sein darf.

Die Umbenennung einer Straße wird nur in Ausnahmefällen gemacht, die Straßennamen werden in der Regel schon bei der Erstellung der Bebauungspläne durch die Gemeinden bestimmt.

Das heißt aber nicht, dass die Einwohner einer Stadt keinen Einfluss auf die Straßennamen haben können. Falls jemand einen Vorschlag für neue Straßennamen in einem Neubaugebiet haben sollte, können diese Vorschläge bei der Gemeinde/Stadtverwaltung eingereicht werden. Die Vorschläge werden in der Regel gesammelt und zu gegebener Zeit wieder aufgegriffen.

Städte und Gemeinden können eine eigene Satzung verabschieden, in der die Kriterien zur Vergabe von Straßennamen festgehalten werden.Oft werden Straßen nach berühmten Persönlichkeiten oder historischen Begebenheiten benannt.

Für Stadt- oder Ortsviertel werden häufig Namen nach bestimmten Gruppen vergeben (zum Beispiel nach Dichtern aus verschiedenen Epochen, Städte- oder Tiernamen, Bäumen etc.).

Text: Andrea Bacher-Schäfer

Aus RegioMagazin WILLI 02/2022

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