WILLI-Reportage | Alles schon mal da gewesen: Brentano und die Judenpogrome 1848 (Archiv 2022)

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Der badische Rechtsanwalt und liberale Politiker Lorenz Brentano, der für einige Jahre in Bruchsal wohnte, setzte sich als Abgeordneter der 2. Badischen Ständekammer schon früh in den 1840er Jahren für demokratische Grundrechte und die politische Mitbestimmung des Volkes ein. Im Rahmen der Märzunruhen von 1848 geriet er ins Fadenkreuz antisemitischer Hetzkampagnen.

Brentano hatte in der Zweiten Kammer der Karlsruher Ständeversammlung die Forderung nach religiöser Freiheit und Gleichstellung aller Bürger gleich welcher Religionszugehörigkeit vertreten und sich damit auch für die Emanzipation der Juden eingesetzt. Als Dank dafür wollten ihn in Bruchsal seine beiden jüdischen Anwaltsgehilfen Louis Oppenheimer und Valentin Guggenheimer mit einem Fackelzug ehren. Dieser wurde allerdings von dem damaligen Bürgermeister Josef Schmidt, der Unruhen befürchtete, untersagt.

Hep-Hep Krawalle: Szene des Judenpogroms 1819 in Würzburg.

Dennoch wurde Brentano von einer aufgehetzten Menge als „Judenkönig“ beschimpft. Nur durch den Einsatz von Dragonern konnte die Erstürmung seines Wohnhauses in der Huttenstraße verhindert werden. In der Stadt, vor allem in der Obervorstadt, kam es jedoch zu wüsten Plünderungen jüdischer Geschäfte und Wohnungen, wie einer Notiz aus der Karlsruher Zeitung vom 6. März zu entnehmen ist:

„Bruchsal. Auf das gestern hier verbreitete Gerücht, dass die hiesigen Israeliten dem Abgeordneten Brentano einen Fackelzug zu bringen beabsichtigten, weil er sich in der Kammer der Abgeordneten warm und lebhaft für die Emanzipation der Juden ausgesprochen hatte, versammelte sich abends gegen 8 Uhr eine große Menschenmenge vor dem Marktplatz und zog von da in die Vorstadt, wo sie sich alsbald unter tobendem Lärm gegen fünf von jüdischen Haushaltungen bewohnte Häuser wendete. Es wurden Thüren, Fenster und Läden zerbrochen, auch einige Kanapees, Kommoden, Stühle und sonstiger Hausrath in den nah vorüberfließenden Saalbach getragen, jedoch keine persönliche Mißhandlung verübt.“

Judenhass als „Erbschaden des Mittelalters“

Nach diesen anti-semitischen Unruhen um seine Person veröffentlichte Brentano in der Mannheimer Abendzeitung am 10. März 1848 folgenden Artikel. Dabei verurteilte er weniger die Angriffe auf seine Person, sondern die antisemitischen Übergriffe, die am 5. und 6. März in Bruchsal und Heidelsheim stattgefunden hatten:
„In unserer guten Stadt, in welcher die Pfaffenherrschaft noch wie ein schwerer Alp auf den Geistern lastet, haben wir die beklagenswertesten Pöbelexzesse erlebt… Man billigte selbst von Seiten solcher Bürger, welche sonst als intelligent gelten wollen, den Hass gegen die Juden… Auf dem Marktplatze rottete sich ein vom Wein erhitzter Haufe mit Steinen und Prügel zusammen, umgeben von solchen, die den Religionshass von jeher gepredigt haben, die man fast täglich in die Kirche, die man mit allen Prozessionen laufen sieht, um ihre Frömmigkeit, mit der sie selbst Gott zu belügen hoffen, zur öffentlichen Schau tragen, und die nun durch aufmunternde Worte und lügnerische, aufreizende Reden das Volk auf die wütendste Art zu fanatisieren suchten…

 

So hat die Stadt Bruchsal den Ruhm erworben, den Religionskrieg begonnen und ihrer Nachbarstadt mit diesem bubenhaften Beispiele vorangegangen zu sein; so hat diese Stadt sich dazu hergegeben, der Reaktions- und Pfaffenpartei Beweismittel geliefert zu haben, dass im badischen Volke noch solche Leute sind, die keine Freiheit verdienen, weil sie dieselbe in ihren Nebenmenschen nicht achten…“

Bretanos Bruchsaler Wohnhaus: Hier lebte der Advokat, heute Wohnhaus Am Alten Schloss 9.

In einem weiteren Artikel vom 14. März bezeichnet er den Judenhass als „Erbschaden des Mittelalters“ und bringt folgende Hoffnung zum Ausdruck:
„Wir können daher hoffen, dass die Morgenröte der Freiheit, die uns jetzt leuchtet, dies finstere Gespenst des Mittelalters gänzlich verscheuchen wird und dass diese Verfolgungen die letzten in Deutschland sind,
welche wir zu beklagen haben. Und dies wird gewis

s der Fall sein, wenn alle freisinnigen Männer mit aller Energie dieselben im Keime zu ersticken suchen und wenn sie ausgebrochen sind, ihre Entrüstung alsdann kundtun. Die gerechteste, wirksamste Strafe solcher Freiheitsschänder ist die Verachtung edler Menschen.“

Leider sollte sich Brentanos Hoffnung nicht erfüllen. Die Judenverfolgung endete im Holocaust der Nazis. Aber: Ist dieser abschließende Appell des Bruchsaler Bürgers Brentanos, vor 173 Jahren niedergeschrieben, nicht wieder hochaktuell? Eine freie demokratische Gesellschaft darf  Intoleranz und Hass gegen Mitmenschen niemals tolerieren und muss sie im Keime ersticken. Eine zeitlose Botschaft…

Text: Rainer Kaufmann

Aus RegioMagazin WILLI 08/2022

 

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