Klemens Schührer, als Bub 1949

WILLI-Reportage | 1. März 1945 – Ein Brief aus den Trümmern

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Den verheerenden Angriff auf Bruchsal vor 80 Jahren erlebte Klemens Schührer als junger Bub nicht in der Stadt. Erst drei Wochen später gab es per Brief ein Lebenszeichen seines Vaters. Diesen Brief stellte er uns trotz seines privaten Charakters zur Veröffentlichung zur Verfügung.

Klemens‘ Vater hatte sich dem Druck der nationalsozialistischen Kreisleitung widersetzt, seinen Sohn auf eine Adolf-Hitler-Schule zu schicken. Stattdessen brachte er ihn im Dezember 1944 heimlich zu seinem, vorzeitig aus dem Krieg heimgekehrten jüngsten Bruder in ein kleines Dorf im Hegau, wo Klemens eine Volksschule besuchte. Erst im Herbst 1945 konnte er nach Hause zurückkehren. Der Luftangriff auf Bruchsal am 1. März 1945 ereignete sich während Klemens‘ Abwesenheit.

Die Nachrichten über die Zerstörung Bruchsals erreichte Klemens zunächst nur über das Radio. Ein direkter Kontakt nach Bruchsal war nicht möglich, da alle Telefonleitungen zerstört waren. Erst drei Wochen nach dem Angriff kam ein Brief seines Vaters Gustav an, der das erschütternde Ausmaß der Tragödie schilderte. Der Brief gibt nicht nur einen tiefen Einblick in das persönliche Schicksal der Familie Schührer, sondern auch in die dramatische Lage der Stadt.

Meine Lieben!

Will heute ein Lebenszeichen von uns geben. Mit der Post geht es aber sehr langsam. Bei uns geht z.Zt. nur noch am Tag nach jeder Richtung ein Zug weg und die nicht einmal vom Bahnhof aus. Züge nach Heidelberg und Germersheim beginnen und endigen am Schlossgartenübergang, diejenigen nach Karlsruhe beim Übergang bei der Holzindustrie. Von Mühlacker her fahren die Züge nur bis Heidelsheim und ab heute sollen diese Züge bis zum Schlachthaus geführt werden. Im ganzen Bahnhof ist kein Stück Schiene mehr ganz. Granattrichter an Granattrichter.

Nicht nur am Bahnhof sieht es so aus, sondern in der ganzen Innenstadt. Es gibt kein Postgebäude mehr, keine Gewerbeschule, kein Rathaus, kein Schloss, kein Finanzamt, kein Gericht, keine Schule, auch die Hans-Schemm-Schule steht nicht mehr. Drei Kirchen sind auch nicht mehr. Es steht nur noch die Peterskirche. Vom Damianstor bis Prinz Max, von der Großen Brücke bis zur Maschinenfabrik und in sämtlichen Frohnbergen steht nicht ein Haus mehr. Alles abgebrannt. Durch den großen Brand und die starke Bombardierung sind die meisten Leute in die Keller geflüchtet und sind auch in diesen Kellern umgekommen. Ein Herauskommen war unmöglich. Es war ein einziges Feuermeer.

Ich selbst war in der Gewerbeschule. Wurde vom Einschlag der ersten Bomben den Keller hinuntergeworfen und lag kurze Zeit besinnungslos unten. Es fielen nacheinander weitere Bomben auf die Gewerbeschule. Ich dachte kaum noch an ein Herauskommen. Durch eine Bombe, die wenige Meter von mir weg bis zum Keller durchschlug, konnte ich und noch einige ins Freie gelangen. Durch dicke Rauchwolken und durchs Feuer sprang ich dann über die Neutorstraße nach dem Frohnberg, Adlerweg nach der Friedhofsstraße. Dort sind keine Bomben gefallen.

Bruchsal ist seit dem 1.3.45 eine Stadt des Grauens. Franz und Käthe (Schwager und Schwester) sind bei diesem Angriff leider auch ums Leben gekommen. Sie konnten nicht mehr aus ihrem Keller heraus und sind erstickt. Karl Braun, die beiden Lehrbuben, der Geselle und ich haben einige Tage später den Keller freigelegt und sie herausgeholt. Außer den beiden waren noch die beiden Fräulein Schorle, die ebenfalls im Haus wohnten, unten im Keller tot. Man schätzt ungefähr 2000 Tote. Ein großer Teil liegt noch in den Kellern.

Man muss die Angehörigen selbst ausgraben und auch selbst die Gräber machen. Gestern haben wir Franz und Käthe beerdigen lassen. Wir selbst sind Gott sei Dank diesmal gut davongekommen.

Will nun schließen. Alles andere vielleicht später mal mündlich.

Es grüßt Euch alle recht herzlich Gustav, Lene und Peter

In Eile und in Aufregung geschrieben.

Gustav Schührer, der Vater von Klemens flüchtete beim Angriff in die Gewerbeschule und konnte im letzten Moment von dort entkommen. Die Schule wurde durch den Bombenhagel komplett zerstört.

 

Bilder: Klemens Schürer / Stadtarchiv Bruchsal

Aus RegioMagazin WILLI 03/2025

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