31.12.2021 | Gastkommentar von Rainer Kaufmann
Wenn eine Stadt nichts anderes zu feiern hat …
„Wenn es in Bruchsal etwas verdient, gefeiert zu werden, dann ist es das Schloss.“
Man muss sich diese Aussage lange genug auf der Zunge zergehen lassen, um die Ungeheuerlichkeit zu begreifen, die da kürzlich ein Bediensteter des Landes Baden-Württemberg von sich gegeben hat. Es war Michael Hörrmann, der Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (SSG) bei einer Presse-Konferenz zum bevorstehenden 300. „Jubeljahr“ der Grundsteinlegung für das Bruchsaler Schloss durch den damaligen Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn.
Wie kann ein Schloss-Diener des heutigen Landes Baden-Württemberg die Stadt, in der er mit seiner Institution residieren darf, mit der Aussage brüskieren, dass wir in Bruchsal ja nichts zu feiern hätten, wenn es das Schloss nicht gäbe, die bauliche Hinterlassenschaft eines Feudalherrn, die zu verwalten er berufen ist?
Kein Aufschrei in der Stadtgesellschaft, anscheinend darf er das. Ob sein Dienstherr, Finanzminister Danyal Bayaz, bei dem angekündigten Festakt am 24. Mai ähnlich arrogant daherkommt, wir werden sehen.
„Das Schloss ist das Herzstück der Stadt“
Aber auch der Spitze der Bruchsaler Stadtverwaltung kann man eine rhetorische Glanzleistung bei dieser Pressekonferenz nicht absprechen. „Das Schloss ist das Herzstück der Stadt“, bestätigte Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick nach einem Bericht der Bruchsaler Rundschau. Und sie ergänzte: „Mir geht es ums große Ganze. Die Bürgerschaft soll das Schloss neu entdecken und Gäste von auswärts sollen sich davon überzeugen, dass die Stadt etwas zu bieten hat.“
Das Schloss als großes Ganzes eben und sonst nichts. Wie anders kann man diese Aussagen denn sonst interpretieren, nachdem das mit dem Hauptbahnhof nicht geklappt hat? Auch hier kein Aufschrei in der Stadtgesellschaft, nicht einmal ein leichtes Rumoren.
Ja, so viel barocke Dienstbarkeit war schon lange nicht mehr in dieser Stadt, in der ein Stadtoberhaupt einmal Damian Hugo als den „größten Sohn der Stadt“ feiern konnte und im Bruchsaler Bahnhofsgebäude ankommende Gäste mit „Willkommen in der Barockstadt“ begrüßt wurden. Beides schien mittlerweile überwunden. Ob aber diese Renaissance offensichtlich gestriger Geisteshaltung durch die Offiziellen aus Stadt und Land dem Lebensgefühl der Mehrheit der heutigen „Barockstädter“ auch wirklich entspricht, wäre durchaus einmal genauer zu hinterfragen.
Gibt es eine irgendwie nachvollziehbare Kalkulation für das Einspielergebnis des 1,5 Millionen Euro teuren Schlossgarten-Spektakels?
Zu hinterfragen wäre auch die Aussage des BTMV-Geschäftsführers auf ebendieser Pressekonferenz, dass sich die Gesamtkosten für das große Kultur-Spektakel hinterm Schloss von 28. Juli bis 7. August von 1,5 Millionen Euro (in Worten: eine Million und fünfhunderttausend Euro) über Kartenverkauf, Sponsoren und Bewirtung einspielen sollen. Wohlgemerkt: Von „einspielen sollen“ ist da die Rede. Wurde das wirklich hinreichend geprüft, bevor eine Verlustübernahme durch den Bruchsaler Gemeinderat in dieser Größenordnung bewilligt wurde? Gibt es für die Steuerzahler, die hierfür ja in Haftung genommen werden, eine irgendwie nachvollziehbare Kalkulation?
Einfach unbeschwert planen
Zugegeben, das ist jetzt recht kleinkariert gedacht. Schließlich hat die Stadt hat ja sonst nichts, was es verdient hätte, gefeiert zu werden. Und wer will denn dann genauer nachrechnen, das heißt vorher rechnen, ob das überhaupt realistisch ist? Und das auch noch vor dem Hintergrund einer ungewissen Entwicklung der Pandemie, die uns seit Monaten mit ständig neuen Wellen und Mutanten überrascht. Was, wenn auch im Sommer 2022 noch erhebliche Einschränkungen den Alltag bestimmen? Wer kann heute schon sicher sein, dass er im Juli auch tatsächlich eine Woche lang Abend für Abend 2.725 Gäste in einer vorübergehend aufgebauten Schloss-Arena Einlass gewähren darf? Wie müssen sich Fastnachter oder andere Kultur-Veranstalter – egal ob Unternehmen oder Verein – da fühlen, die nicht wissen, wie ihre Saison 2022 ausfallen wird, ausfallen im wahrsten Sinn des Wortes? Bekommen sie auch eine städtische Verlust-Übernahme, damit sie unbeschwert vor sich hin planen können?
Schaunmermal sagte der Kaiser
Egal, Bruchsals Außendarsteller wollen nach 300 Jahren endlich mal wieder etwas zu feiern haben, und da will sich niemand aus Kommunalpolitik, Medien und Stadtgesellschaft mit kritischem Hinterfragen unbeliebt machen. Nun gut, warten wirs ab, was hinten dabei herauskommt. Aber: Zumindest eine kritische Stimme sollte jetzt schon zu vernehmen sein, dieser RAINwurf, wenngleich es dem Autor nun wirklich nicht darauf ankommt, unbedingt recht behalten zu müssen.
Er lässt sich gerne eines Besseren belehren, wenn das „große Ganze“ dann doch noch klappen sollte. Nur: Auch nach diesem barocken Jubeljahr könnte es in dieser Stadt noch das eine oder andere zu feiern geben. Schaunmermal, sagte früher unser aller Kaiser, dann sehn wir`s ja, ob die Offiziellen in Schloss, BTMV und Rathaus dann ebenso begeistert mitmachen wie bei diesem Super-Event, das die „Strahlkraft der Stadt nach außen stärken“ soll (O-Ton Oberbürgermeisterin Petzold-Schick).
In diesem Sinne wünsche ich allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ein „strahlendes“ Jahr 2022, vor allem aber ein negatives.
Rainer Kaufmann
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