04.12.20 | Bruchsal | „Eine Räuberhöhle in Bruchsal?“, mag sich nun mancher verwundert fragen. Doch handelte es sich bei den zehn Gründungsmitgliedern dieser Vereinigung weniger um zwielichtige Gestalten mit Schlapphut und Zottelbart, als um junge Ingenieure und Kaufmänner fern der Heimat. Mit dem „Bedürfnis, an einem bestimmten Abend in der Woche ein gemütliches Beisammensein herbei zu führen“, wie sie im Protokollheft festhielten, gründeten sie am 5. Dezember 1895 im Lokal „Mercur“ die Männervereinigung „Räuberhöhle“ mit dem vielstimmigen Ausruf „Mordio“.
Sie setzten sich damit in eine Traditionslinie mit Städten wie Mannheim oder Heidelberg, in denen sich bereits früher im Kontext der Schillerverehrung solche Vereinigungen nach dem Vorbild seiner „Räuber“ konstituiert hatten. Jedes Mitglied bekam bei seiner „Taufe“, seiner rituellen Aufnahme in den Bund einen „Räubernamen“, der entweder im Theaterstück angelegt war oder einen anderen berühmten Räuber aus der Geschichte zum Vorbild hatte.
So hieß der „Hauptmann“, der Vorsitzende der Vereinigung immer „Moor“, (zur chronologischen Unterscheidung wurde durchnummeriert) und der frühere Bürgermeister Wilhelm Mehner wählte bei seinem Eintritt den Namen „Bärenhäuter“. Damit endet die Anlehnung an Schiller jedoch fast schon. Protokollbände und Gästebücher, die im Bestand des Stadtarchivs liegen, zeichnen das Bild einer feuchtfröhlichen Truppe, die weit mehr bündischen (Trink-)Ritualen wie dem „Salamander“ und humoristischen Gesangseinlagen zugeneigt waren als literarischen Gespräche über Schiller oder das Wesen seiner „Räuber“.
Frappierend viele Überschneidungen mit der NSDAP- Ortsgruppe
Das Eintrittsalter war jung, im Durchschnitt zwischen 22 und 25 Jahren. Es waren also vornehmlich junge Männer, die den Kreis der „Räuber“ bildeten. Ihre Berufe deuten darauf hin, dass sie in Bruchsal ihre ersten Stellen nach Lehrzeit oder Polytechnikum inne hatten. Die Vereinigung der „Räuberhöhle“ konnte da den Status einer Ersatzfamilie einnehmen, die sich durch besondere Bande intensiver Freundschaft junger Männerauszeichnen sollte, die, aufgrund ihres Alters und ihrer soziokulturellen Herkunft (noch) nicht in die patriarchale Gesellschaft des Kaiserreichs passten, sondern, eben wie der gängige Räubertypus, außerhalb der Gesellschaft standen.
Konflikte zwischen den jungen Mitgliedern wurden innerhalb der Gruppe durch bündische Selbstgerichtsbarkeit und dem „Hauptmann“ als Vorsitzenden gelöst; Strafen rangierten zwischen der Zahlung von wenigen Pfennigen bis zum Ausschluss. Durch regelmäßige Treffen mit der „Schwesterhöhle“ in Heidelberg vergrößerte man den Familienkreis. So skurril-beschaulich die in den Protokollbänden beschriebenen „Räuberabende“ auch wirken, machte die Geschichte des 20. Jahrhunderts doch keinen Halt vor der „Höhle“. Der Erste Weltkrieg raubte der „Räuberhöhle“ einige ihrer Mitglieder, zu deren Erinnerung der Künstler Joseph Mariano Kitschker, unter dem Namen „Fra Diavolo“ ebenfalls Mitglied der Höhle, beeindruckende Zeichnungen im Gästebuch hinterließ.
Und zwanzig Jahre später zeigt ein Vergleich der Mitgliederliste mit der Gründungsversammlung der NSDAP-Ortsgruppe frappierend viele Überschneidungen. Und auch beim Synagogenbrand, einem der dunkelsten Ereignisse in der NS-Geschichte Bruchsals, war mit „Razmann“ ein Mann beteiligt, der 1930 auf der Mitgliederliste der „Räuberhöhle“ stand. Über das Ende der „Räuberhöhle Bruchsal“ gibt es keine offizielle Überlieferung. Lediglich in einem Bericht einer Angehörigen wird erwähnt, dass es immer mehr an Nachwuchs fehlte und sich die Vereinigung zum Beginn des Zweiten Weltkriegs auflöste. Die „Ur“-Räuberhöhle von 1839 in Mannheim dagegenbesteht als eingetragener Verein bis heute fort.
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