Es vergeht keine Woche, in der nicht eine Landkreisgemeinde neue Pläne zu Tiefengeothermie, Solar- oder Windkraftanlagen beratschlagt. Insbesondere bei Letzteren ist ein wahrer Wettlauf um akzeptable Flächen für diese (un)geliebten Riesen entbrannt. Zwar ist Forst außen vor, aber Gondelsheim erwägt, Weingarten projektiert, Philippsburg sucht, Waghäusel erörtert, Östringen entwirft, Bruchsal diskutiert oder Bretten bespricht. So lesen sich in unvollständiger Reihenfolge die Überschriften zu Gremiensitzungen und Bürgerveranstaltungen der Landkreiskommunen.
Was die Windkraft angeht, so besteht aufgrund der Bundes- und Landesgesetze auch beim Regionalverband Mittlerer Oberrhein (RMO) ein Flächenziel von 1,8 Prozent zur Ausweisung von windkrafttauglichem Gelände. Und zwar bis 2032! Die Steuerung dieses Auswahlprozesses obliegt dabei dem RMO. Dabei kann der RMO für manche Gemeinden auch drei oder vier Prozent der Fläche als windrad-tauglich ausweisen.
Denn da wohl in der Stadt Karlsruhe, die ebenfalls zum RMO gehört, keine Windräder in den Zoo oder Schlossgarten gestellt werden, müssen zwangsläufig in manchen Gebieten überdurchschnittlich hohe Flächenanteile ausgewiesen werden. Erst bei Erreichen des 1,8 Prozentziels für den RMO insgesamt müssen keine weiteren Gebiete vorrangig oder privilegiert ausgewiesen werden.
Kein Wunder, wenn manchen Kommunalpolitikern der Angstschweiß auf der Stirn steht.
Und hier beginnen offensichtlich hinter den Kulissen die Uhren hörbar zu ticken. Denn eine Task Force, initiiert von Landesministerin Nicole Razavi, soll schon 2025 verbindliche Regionalpläne beschließen und setzt damit den RMO gehörig unter Zeitdruck.
Und von Seiten der Kommunen will man natürlich nicht abwarten, bis der RMO eigene Vorschläge für Flächenausweisungen vorlegt, sondern proaktiv eingreifen. Deshalb die Hektik seitens betroffener Kommunen, wie der Stadt Bruchsal, mögliche Realisierungsszenarien für Windenergieanlagen vorab festzulegen, um mit diesen Plänen den RMO zu beeindrucken.
Denn entgegen mancher Sonntagsreden zur Energiewende scheint keine Kommune erpicht darauf, möglichst viele Windradriesen auf ihrer Gemarkung einzubetonieren.
Was die Gemeinden vielmehr befürchten: Man beschließt vorab Standorte für riesige Windkraftturbinen auch gegen den Widerstand aus Teilen der Bevölkerung, bekommt aber danach noch zusätzliche Windräder von privaten Investoren vor die Nase gesetzt. Ein Szenario, das grundsätzlich nicht auszuschließen ist!
Dabei ist der vermeintlich das Damoklesschwert schwingende RMO kein im politisch luftleeren Raum schwebendes Gremium. Verbandsvorsitzender ist der Landrat des Landkreises Karlsruhe, Christoph Schnaudigel, dessen Wiederwahl durch den Kreistag noch in diesem Jahr ansteht und der beim Landratsamtsneubau gehörig unter Druck steht.
Viele Kommunalpolitiker und (Ober-)Bürgermeister sitzen nicht nur im Kreistag, sondern auch in der Verbandsversammlung des RMO und werden die Entscheidungsprozesse des RMO-Verbandsdirektors Michael Proske bei Fragen der Energiewende sicherlich engmaschig begleiten, um im politisch korrekten Jargon zu bleiben.
420 GWh Strom jährlich
Welche Dimensionen diese haben, sieht man am Beispiel Bruchsals. Bis 2040 ist ein Gesamtenergieverbrauch von 840 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr prognostiziert. Strom wird davon rund die Hälfte ausmachen, also geschätzte 420 GWh.
Die elf in Bruchsaler Wäldern angedachten Windradriesen würden dabei jährlich wohl bis zu 150 GWh Strom erzeugen. Hypothetisch gerechnet wäre also mit rund 30 Windradmonstern auf Bruchsaler Gemarkung der lokale Stromhunger im Jahre 2040 tatsächlich gedeckt und Teile der lokalen Politikelite könnten weiterhin guten Gewissens mit ihren E-Autos in den Skiurlaub düsen.
Weshalb dieser Strom allerdings aus Windkraftanlagen im Kraichgau kommen muss, ist nach wie vor strittig. Schaut man genauer hin, so haben die Atommeiler in Philippsburg über ihre Betriebszeit die gewaltige Summe von 570.000 GWh Strom geliefert. Noch 2018 wurden 18.000 GWh in die Netze eingespeist. Der Landkreis Karlsruhe war also lange Zeit in seiner Energieproduktion trotz aller Endlagerproblematik relativ klimaneutral unterwegs und hat den Rest des Landes mit Strom beliefert.
Den derzeitigen Hype um Energieautarkie auf lokaler Ebene halten daher manche für aufgesetzt und aus der Not geboren. Denn über tausend Windradriesen werden wir wohl in die Landschaft stellen müssen, um die Strommenge eines Atommeilers zu ersetzen. Dass daneben auch die Solarenergie in der Fläche massiv ausgebaut werden wird, ist ebenfalls kein Geheimnis; von klimaschädlichen Kohle- und Gaskompromissen nicht zu reden.
Übrigens werden die Bürger selbst dann noch ihre Staubsauger zeitweise mit französischem Atomstrom betreiben.
Alles andere wäre angesichts mangelnder Speicherkapazität völlig blauäugig! Wird den Landkreisbewohnern des Jahres 2030 aber wenigstens von den in einer Million Jahren Lebenden (menschenähnliche Gestalten?) ein würdevolles Gedenken bewahrt, da sie diesseits des Rheins den Atomstrom nur konsumierten, aber pflichtschuldig keineswegs selbst produzierten, sondern aus Frankreich nur importierten?
Darüber lässt sich trefflich streiten. Allerdings selten mit Bundes- und Landespolitikern, die den Kommunen zwar diese Suppe eingebrockt haben, beim
gemeinsamen Auslöffeln aber – falls nicht schon im (un)verdienten Ruhestand – meist abtauchen, lieber zu Fassanstichen und Jubiläen gehen oder, wie der Brettener FDP-Landtagsabgeordnete und RMO-Verbandsversammlungsvertreter Christian Jung, zwar Kritik üben, diese bisweilen jedoch recht opportunistische Züge trägt.
Text: Hubert Hieke
Aus RegioMagazin WILLI 06/2023
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