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Bruchsal wurde am 1. März 1945 Schauplatz
einer Katastrophe. 80 Jahre später, erinnern wir uns an das Leid und die Zerstörung, die dieser Tag brachte. Der Krieg, der bereits seit Jahren tobte, erreichte für die Bruchsaler an diesem Tag seinen grausamen Höhepunkt. Niemand in der Stadt konnte ahnen, dass an diesem sonnigen Tag ein Angriff von ungeahntem Ausmaß bevorstand.
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Schon seit 1940 lebten die Menschen in ständiger Angst vor Luftangriffen, doch Bruchsal hatte es bisher verhältnismäßig glimpflich getroffen. Der Bahnhof, ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, war immer wieder Ziel von Angriffen gewesen, doch ganze Stadtviertel waren bis dahin weitgehend verschont geblieben. Doch an diesem schicksalhaften Frühlingstag wurde Bruchsal zum Ziel eines massiven Bombardements durch die US Air Force. Um 13.53 Uhr fielen die ersten Bomben, wenige Minuten später lag die Stadt in Trümmern. Ganze Straßenzüge gingen in Flammen auf, das historische Schloss wurde schwer getroffen, der Bahnhof nahezu vollständig zerstört.
In nur wenigen Minuten wurde das Leben in Bruchsal für immer verändert. Mehr als 1.000 Menschen starben, Tausende wurden verletzt oder verloren ihr Zuhause. 4.650 Gebäude fielen den Bomben zum Opfer, 1,5 Millionen Quadratmeter Stadtgebiet wurden verwüstet. Noch Jahre später fand man Leichen unter den Trümmern.
Über Jahrzehnte hinweg hat das Redaktionsteam von WILLI Erzählungen von Zeitzeugen aufgeschrieben und deren ergreifende Erinnerung an jenen Tag festgehalten. Viele dieser Augenzeugen leben heute nicht mehr, ihre Erinnerungen jedoch möchten wir für immer bewahren. Die aufgezeichneten, sehr persönlichen Berichte von Zeitzeugen bringen das Unfassbare näher und zeigen eine Atmosphäre auf, die von Angst und Ungewissheit geprägt war. Sie erinnern sich alle an das Grauen dieses Tages in ähnlichen Worten noch Jahrzehnte später, obwohl das Erlebte kaum in Worte zu fassen war. Die Bilder von zerstörten Gebäuden und toten Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn brannten sich tief in die Erinnerung der damals meist noch sehr jungen Zeitzeugen ein und verfolgte sie ihr Leben lang.
„Die Flieger am Himmel sahen aus wie Engel.“
Für Hildegard Liebgott, damals 16 Jahre alt, wurde ihr Geburtstag zum Tag des Schreckens. Sie arbeitete als Verkäuferin im „Kaiser’s Kaffeegeschäft“ in der Kaiserstraße und war in der Mittagspause auf dem Heimweg, als der Fliegeralarm ertönte. Sie suchte Schutz im Keller ihres Elternhauses in der Durlacher Straße. Nach dem Angriff lag ihr Zuhause in Trümmern. Das Nachbarsmädchen Christel hatte es nicht mehr rechtzeitig in den Keller geschafft und lag tot auf der Straße. Noch kurz zuvor hatte sie die Flieger am Himmel als Engel bezeichnet. Hildegards Mutter hatte extra eine Linzertorte gebacken, um ihren Geburtstag zu feiern – doch in den Trümmern war keine Freude mehr zu finden. Ihre Familie verlor alles, nur das Leben blieb ihnen.
Am Nachmittag, als sie durch die Straßen irrte, sah sie Menschen, die verzweifelt ihre Angehörigen suchten. Überall lagen Trümmer, brennende Häuser und verwaiste Kinder. Ein fremder Mann packte sie am Arm und führte sie zu einer Sammelstelle am Eisenbahntunnel Richtung Untergrombach, wo sich viele Überlebende sammelten. In den folgenden Tagen irrte sie zwischen Notquartieren und Ruinen umher und hoffte, Freunde oder Verwandte zu finden. Die Erlebnisse dieses Tages prägten ihr gesamtes weiteres Leben.
„Der Gestank verbrannter Leichen und Tiere lag noch Tage später
über der Stadt.“
Gabriele Kunle, damals 23 Jahre alt, war auf dem Weg zur Arbeit im Bruchsaler Rathaus, als die Sirenen heulten. Instinktiv drehte sie um und fuhr nach Hause. Diese Entscheidung rettete ihr das Leben, denn der Luftschutzkeller des ehemaligen Pfarrhauses St. Paul, in den sie sonst geflüchtet wäre, wurde vollständig zerstört. Ihr Elternhaus in der Durlacher Straße brannte lichterloh, alles fiel in Schutt und Asche. Der Gestank verbrannter Leichen und Tiere lag noch Tage später über der Stadt. Ihre Familie fand vorübergehend Unterschlupf in einem zerstörten Wellpappewerk und lebte später im Gasthaus „Waldhorn“.
Noch heute erinnert sie sich an die aufgebahrten Leichen am Friedhof, aufgereiht, damit die verzweifelten Angehörigen sie identifizieren konnten. Tagelang versuchte sie, in der Stadt nach Freunden und Kollegen zu suchen, doch überall begegneten ihr verstörte Menschen, weinende Mütter, die ihre Kinder nicht mehr fanden, und Soldaten, die versuchten, Ordnung in das Chaos zu bringen. Sie fand schließlich ihren Vater wieder, doch ihre Großeltern blieben verschollen.
„Wir flohen in die Büsche – in der Angst von der SS erschossen zu werden.“
Herbert Durst, damals 16 Jahre alt, war mit anderen Jungen beim Ausheben von Schützengräben westlich der Peterskirche beschäftigt, als die ersten Jagdbomber auftauchten. Sie retteten sich in einen Erdbunker, während Bruchsal in Flammen aufging. Ein Versuch, in die Stadt zu gelangen, um zu helfen, scheiterte an der lodernden Feuerwand. Stattdessen halfen sie, Brände in der Klostergasse zu löschen. Am nächsten Tag versuchten sie, Lebensmittel aus einem zerstörten Lager in der Wilderichstraße zu bergen, doch Butter und Käse waren durch die Hitze zu einer stinkenden Masse auf dem Kellerboden geschmolzen.
Als der Volkssturm sie einberufen wollte, floh Herbert mit drei anderen Jungen durch die Büsche – in der Angst, von der SS erwischt und erschossen zu werden. Später geriet er dennoch in Kriegsgefangenschaft und wurde in den Keller des Gasthauses „Adler“ in Heidelsheim gesperrt. Erst nach drei Tagen wurde er freigelassen.
Als im Mai endlich Frieden herrschte, durfte er als Läutjunge der Kirche die Glocke läuten und so symbolisch das Ende des Krieges verkünden. Doch die Erinnerungen an die Bombennacht ließen ihn nicht los. Noch lange nach Kriegsende half er, Überlebende ausfindig zu machen und mit ihnen über die Schrecken jener Tage zu sprechen. Viele von ihnen blieben traumatisiert, unfähig, über das Erlebte zu sprechen. Herbert aber wollte, dass sich die Geschichte nicht wiederholt – und erzählte seine Erinnerungen, um die Schrecken des Krieges für kommende Generationen wachzuhalten.
Die Erinnerungen dieser Zeitzeugen zeigen das Chaos, die Zerstörung und das Leid der Menschen von Bruchsal am 1. März 1945. Ihr Schicksal steht stellvertretend für Tausende, deren Leben an diesem Tag für immer verändert wurde.
Text: Iris Weindel, Bilder: egghead Medien / Stadtarchiv Bruchsal
Aus RegioMagazin WILLI 03/2025
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