19.12.22 | Der Gastkommentar von Rainer Kaufmann
Was hat die Razzia gegen die Reichsbürger und ihre Staatsstreichpläne mit dem „Denkort Fundamente“ auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge in Bruchsal zu tun? Auf den ersten Blick recht wenig. Bei einigem Nachdenken wird dann aber schnell klar, dass vor allem die vorgesehene Komponente „Lernort Zivilcourage“ eine ganz neue Bedeutung erlangen kann. Neben dem „Haus der Geschichte der Juden Badens“ sind auf dem Umfeld des bisherigen Feuerwehrhauses, das nach dem 2. Weltkrieg ausgerechnet auf dem Gelände der 1938 abgefackelten Synagoge erbaut wurde, eine ganze Reihe weiterer Einrichtungen vorgeschlagen, die man unter dem Oberbegriff „Nachdenken über die Fundamente unserer heutigen Demokratie“ zusammenfassen könnte.
Dabei geht es um die gesamte Geschichte der Demokratiewerdung Deutschlands, die in der Stadtmitte von Bruchsal mit vielen lokalen Ereignissen und Protagonisten geradezu beispielhaft erzählt werden kann. Eine umfassende Neu-Konzeption der Geschichtserzählung der Stadt Bruchsal, in der Ereignisse und Personen aus mehreren Jahrhunderten in logischen Gesamtzusammenhängen dargestellt werden könnte. Und damit könnte die Stadt Bruchsal geradezu eine Vorreiterrolle in der nachhaltigen und zukunftsfähigen Aufarbeitung deutscher Geschichte übernehmen. Ganz nach dem Vorschlag des früheren Bundesinnenminister Gerhard Baum, den er in einer Talkshow kürzlich machte: „Zukunft kann es nur geben, wenn ein Volk seine Vergangenheit aufarbeitet.“ Bei dieser Talkshow wurde vor allem auch bemängelt, dass viel junge Menschen heute viel zu wenig Wissen darüber hätten, wie in Deutschland die Demokratie erkämpft werden musste.
Dass diese Vision durchaus Unterstützung in der Zivilgesellschaft findet, beweist der folgende Text, den Prof. Dr. Hajo Kurzenberger kürzlich den mit dem Denkort Fundamente beschäftigten Institutionen zukommen lies. Unter der Überschrift „Lernort Demokratie“ schreibt führt er aus:
„Nach den jüngsten innenpolitischen Ereignissen, der Aufdeckung der Pläne der sogenannten Reichsbürger, hat verstärkt eine Diskussion eingesetzt, feste Orte zur Stärkung unserer Demokratie einzurichten, die auch dauerhaft finanziert werden. Dies könnte für das Bruchsaler Projekt „Denkort Fundamente“ von Bedeutung und eine große Chance sein. Die von der Stadt und der Bruchsaler Zivilgesellschaft entwickelten Konzepte ließen sich ohne Verbiegung der einzelnen Vorschläge leicht zu einem „Denkort Demokratie“ bündeln und als solchen auch propagieren und realisieren. „Das Haus der jüdischen Geschichte und Kultur“, „die neue Feuerwache“, der „Lernort Demokratie“ sind ja auf Wechselwirkungen und Korrespondenzen angelegte Projekte, die sich inhaltlich ergänzen.
Der „Denkort Fundamente“ meint konkret nichts anderes als ein Nachdenken über unsere demokratische Grundlagen. Deshalb der Vorschlag: Verfolgen wir gemeinsam das Projekt „Denkort Demokratie“, das die oben genannten Teilprojekte nicht nur äußerlich zusammenfügt und dabei als eigenständige Bausteine gelten lässt, sondern aufgrund ihrer gemeinsamen Themen und Inhalte (gegen Gewalt, Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus, für demokratische Teilhabe und Transparenz) sinnvoll integriert.
Die Stadt Bruchsal könnte umgehend an der Spitze einer notwendigen zu fördernden Entwicklung stehen.“
Dazu müssten die politischen Kreise der Stadt – Verwaltung und Gemeinderat – aber bereit sein, dieses Leuchtturm-Projekt in einem offenen Forum zur Diskussion zu stellen und nicht nur in geschlossenen Zirkeln und hinter den Kulissen zu besprechen, wie es vom Förderverein „Lernort Bergfried – Freiheit, Bürgerrechte und Demokratie“ schon vor einem Jahr vorgeschlagen wurde. Das Thema muss raus aus den Hinterstuben von Verwaltung und Gemeinderat, es ist für das geschichtliche Selbstverständnis unserer Stadt viel zu wichtig, als dass nicht alle, die dazu etwas beitragen wollen und können, eingeladen werden, sich zu beteiligen. Auch städtische Institutionen wie Stadtbibliothek, VHS, das Städtische Museum und die Kommission für Stadtgeschichte könnten eingeladen werden, sich mit ihrer Fach-Kompetenz einzubringen. Übrigens: Der Begriff „Forum“ wird in Wikipedia so erklärt:
„Forum oder im Plural Foren steht für: Forum (Platz), in der römischen Antike der Stadt- und Marktplatz, oft der Ort für Gerichte oder Volksversammlungen.“
Wer für ein einwöchiges Barock-Spektakel ein Budget in Millionen-Höhe abnickt und absichert, sollte für eine solche zukunftsweisende Konzeption auch entsprechende Mittel bereitstellen.
Natürlich kostet ein solches Projekt auch Geld. Deshalb wird der Gemeinderat nicht umhinkommen, sein bisheriges Credo zu korrigieren, nachdem es im Gemeindehaushalt dafür keine Reserven gäbe. Für die Umsetzung eines solchen Konzeptes gibt es auch Zuschüsse in Landes- oder Bundes-Institutionen, die man allerdings nur dann angehen kann, wenn man erst einmal ein schlüssiges Konzept erarbeitet hat. Wer nur nach fremden Geldgebern sucht, akzeptiert die Fremdbestimmung! Dazu eine weitere Bemerkung: Wer für ein einwöchiges Barock-Spektakel ein Budget in Millionen-Höhe abnickt und absichert, sollte für eine solche zukunftsweisende Konzeption auch entsprechende Mittel bereitstellen. Mittel, die sich über die Zeit von Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, durchaus verantworten lassen. Bruchsal hat jetzt wirklich die Chance, sich in seiner Geschichtsdarstellung neu zu erfinden.
Über Rainer Kaufmann
Der gebürtige Bruchsaler Rainer Kaufmann ist Journalist, Gastronom, Gründer des 1. Bruchsaler Stadtkabaretts, war in den 90er Jahren Veranstalter von mehrtägigen Kulturevents im Schlachthof und im Atrium des Bürgerzentrums (auf eigene Rechnung!) und beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit der Geschichte seiner Heimatstadt – ob in TV-Dokumentationen, Büchern („Seilersbahn – ein Weg Geschichte“, „Elternstadt Bruchsal“), Theaterstücken („Unschädlichmachungen“), Kabarett-Aufführungen, Vorträgen oder als Stadtführer.
Landfunker nimmt das Angebot des oft unbequemen Rainer Kaufmann gerne an, in Form von Gastkommentaren seinen Leserinnen und Lesern eine andere Bruchsal-Perspektive zu bieten, die in der Regel jenseits der Selbstbelobigungen der Amtsblätter oder der Pressemitteilungen an die hiesigen Tageszeitungen und Internetportale liegt.
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