LERNORT KISLAU | Der 70. Todestag des mutigen Demokraten Adam Remmele (Archiv 2021)

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13.09.2021 | „Es wurden hier in Karlsruhe rote Zettel angeschlagen: ‚Wer ist Adolf Hitler aus München?‘ Meine Herren von rechts! Ich will Ihnen darauf sagen: Wenn ich Zugriffsrechte hätte, würde ich diesen Herrn in eine Heil- und Pflegeanstalt schicken […]“ 

Als der badische Staatspräsident Adam Remmele die Abgeordneten der antidemokratischen DNVP im Februar 1923 im Landtag mit diesen drastischen Worten abkanzelte, handelte es sich keineswegs nur um rhetorische Kraftmeierei.

Remmele als die Konstante der badischen Politik

Nicht zuletzt in seiner Funktion als Landesinnenminister hatte Remmele in den Jahren zuvor bereits vielerlei Beweise dafür erbracht, dass er den Feinden der Weimarer Republik notfalls mit drastischen Mitteln entgegenzutreten gewillt war. Die Landespolizei folgte ihm hierin schon bald vergleichsweise treu und diszipliniert – damals leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Von Nazis wie Kommunisten wurden die badischen Freunde und Helfer deshalb als „Remmelegarde“ tituliert, und Remmele selbst wurde wahlweise als „Volks-“ oder „Arbeiterverräter“ diffamiert.

1922 war Baden zudem das erste Land im Reich gewesen, in dem die NSDAP – damals noch eine Splitterpartei – verboten wurde. Es darf also davon ausgegangen werden, dass der Ober-Nazi und seine Entourage im badischen ‚Musterländle‘ auch nach ihrem Putschversuch vom 9. November 1923 weniger glimpflich davongekommen wären als im reaktionären Bayern. Mehr als ein Jahrzehnt lang stand Remmele an der Spitze des badischen Innenministeriums, im Anschluss leitete er anderthalb Jahre lang das Kultus- und das Justizressort. In diesen insgesamt mehr als zwölf Jahren kam ihm im Zuge eines rollierenden Systems gleich zweimal die Rolle des Kabinettschefs zu – so nach 1922/23 auch 1927/28 wieder. Damit hat Remmele als die Konstante der badischen Politik in der Weimarer Republik zu gelten und als ihr profiliertester Kopf obendrein. In die Wiege gelegt war ihm eine solche Karriere nicht

Biografie

Geboren 1877 im Odenwald als ältestes Kind eines armen Müllers, hatte Remmele sich nach siebenjähriger Volksschulbildung und eigener Müllerlehre in zähem Selbststudium nachholend all jenes Wissen angeeignet, das der wilhelminische Klassenstaat ihm vorenthalten hatte, und auf dieser Grundlage schon in jungen Jahren führende ehrenamtliche gewerkschaftliche Funktionen übernommen. 1903 wurde der 25-Jährige dann von den Gremien der Stadt Ludwigshafen am Rhein mit dem Aufbau eines der ersten kommunalen Arbeitsämter im Deutschen Reich betraut, was über die Arbeitsvermittlung hinaus auch die Rechtsberatung umfasste. Seit 1908 war Remmele als Redakteur beim Mannheimer SPD-Organ ‚Volksstimme‘ – einer damals weit verbreiteten Tageszeitung – tätig, und seit 1911 vertrat er die SPD im örtlichen Stadtrat.

Als es in der Umbruchsituation 1918/19 galt, die Rätebewegung in parlamentarische Bahnen zu lenken, kam Remmele in diesem doppelten Demokratisierungsprozess auf Landesebene eine Schlüsselrolle zu. Im April 1919 wurde er schließlich an die Spitze des badischen Innenministeriums berufen – ein Amt, das er über ein Jahrzehnt lang bekleiden sollte. Unermüdlich wirkte er in diesem Rahmen auf eine Demokratisierung und Modernisierung des obrigkeitsstaatlich geprägten Polizei- und Verwaltungsapparats hin. Zugleich setzte er sich auf Reichsebene für eine grundlegende Reform der Ländergrenzen ein, die entscheidend zur Stabilisierung der gefährdeten Republik hätte beitragen können. Wie andere sinnvolle Initiativen sollte freilich auch diese an den Einzelegoismen von Akteuren scheitern, die nicht mit gleicher Weitsicht gesegnet waren. Dessen ungeachtet genoss Remmele, der einstige Volksschüler und Handarbeiter, einen Ruf als weithin anerkannter Verwaltungsfachmann, der einen Großteil seiner akademisch gebildeten Ministerkollegen in fachlicher Hinsicht locker in die Tasche stecken konnte.

Remmele und die NSDAP

Von den mannigfachen Anfeindungen der Antidemokraten aller Couleurs zermürbt, kandidierte Remmele im Herbst 1929 nicht mehr für den Landtag, und bei der sich anschließenden Regierungsbildung stand er auch nicht mehr für eine Übernahme des Innenressorts zur Verfügung. Doch ließ er sich überreden, wenigstens übergangsweise das Justiz- und das Kultusressort zu leiten.

Mit der NSDAP war bei dieser Wahl nun eine Sprache der Verrohung und ein Klima der Gewalt in das badische Landesparlament eingezogen – und Remmele damit jetzt auch dort der Hetze und den Verleumdungen durch den braunen Mob ausgesetzt. Nach den Erfolgen der NSDAP bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 war ihm vollends klar, dass es nun – so Remmele in einer kurz nach der Wahl veröffentlichten Broschüre – um nichts weniger gehen müsse als darum, „die Republik vor dem Hinabgleiten in das faschistische Regime zu retten“.

Es folgten weitere Schriften, in denen Remmele eindringlich vor den Nazis warnte, Aus der Landespolitik jedoch zog er sich Mitte 1931 endgültig zurück. Fortan konzentrierte er sich vor allem auf das Reichstagsmandat, in das er 1928 unerwartet nachgerückt war, und er übte es auch weiter aus, nachdem er im Sommer 1932 mit seiner Frau und seinen beiden jüngsten Söhnen nach Hamburg gezogen war, um dort eine führende Funktion im Zentralverband der Konsumgenossenschaften zu übernehmen.

Die Antwort der Nazis

Nach ihrer sogenannten ‚Machtergreifung‘ präsentierten die Nazis Adam Remmele die Quittung für seinen jahrelangen unerschrockenen Kampf um den Erhalt der Demokratie: Im Rahmen einer an Niedertracht kaum zu überbietenden ‚Schaufahrt‘ verschleppten sie ihn am 16. Mai 1933 zusammen mit sechs weiteren bekannten Sozialdemokraten ins kurz zuvor errichtete Konzentrationslager Kislau nördlich von Bruchsal. „Remmele schafft jetzt billiger“, so lautete die Unterschrift unter einem der Bilder, mit denen die badische Nazi-Presse in den folgenden Monaten ihre Häme über ihren einstigen Lieblingsfeind ausschüttete, den es nun zu demütigen und zu brechen galt.

Auch nach seiner Entlassung aus der ‚Schutzhaft‘ im März 1934 blieb Remmele mannigfachen Drangsalierungen und ständiger Polizeiüberwachung ausgesetzt. 1943 durch Ausbombung um seine letzte Habe gebracht und im 1944 im Zuge der ‚Aktion Gitter‘ ins KZ Fuhlsbüttel verschleppt, überlebte er die NS-Diktatur mittellos. Nach dem Krieg wirkte er am Wiederaufbau der Konsumgenossenschaftsbewegung mit und übernahm als Mitglied des zweiten Frankfurter Wirtschaftsrats erneut an exponierter Stelle politische Verantwortung. Am 9. September 1951 starb er 73-jährig in Freiburg im Breisgau.

Geschichte als Motion Comic

Über die ‚Schaufahrt‘ vom 16. Mai 1933 hat das Team des Projekts Lernort Kislau nun einen sechsminütigen Motion Comic produziert, der sich vor allem an junge Menschen wendet. Die animierte Bildergeschichte schildert die Ereignisse jenes Tages aus Remmeles Perspektive; der Karlsruher Schauspieler und Kabarettist Erik Rastetter hat ihm seine Stimme geliehen. Auf dem Geschichtsportal ‚Baden 1918 bis 1945‘ kann der Motion Comic unter https://www.baden18-45.de/filter/schaendliche-schaufahrt-ins-kz/ abgerufen werden, zudem ist er auf YouTube verfügbar.

Auch in dem mobilen Geschichtslabor ‚Wo fängt Unrecht an?‘, das noch im September eine mehrjährige Tour durch Nordbaden antreten wird, kommt der Motion Comic über Remmele und die ‚Schaufahrt‘ zum Einsatz. Ausgehend von der Geschichte des KZ Kislau, bietet das Projekt Lernort Kislau jungen Menschen mit diesem neuartigen Mitmachangebot einen niederschwelligen Zugang zur Frage nach den Unterschieden zwischen Recht und Unrecht sowie zwischen Demokratie und Diktatur – und trägt nebenbei vielleicht auch ein bisschen dazu bei, dass mutige Demokraten wie Adam Remmele nicht ganz vergessen werden.

 

Dr. Andrea Hoffend, Projekt Lernort Kislau

 

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