Zeitzeugin Martha Maier
Zeitzeugin Martha Maier

BRUCHSAL :: Zeugen einer schlimmen Zeit – Martha Maier erinnert sich an den 1. März 1945 (Archiv 2014)

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Zeitzeugen nennt man sie. Leute, die Zeugnis geben können von bestimmten historischen Ereignissen, die sie vor Ort persönlich miterlebt haben.  Es ist erstaunlich, wie genau die Meisten Ereignisse schildern können, die sich in ihr Gedächtnis eingebrannt haben, obwohl sie viele Jahre zurückliegen. Auch die Bruchsalerin Martha Maier erinnert sich an den 1. März 1945, den Bombenangriff auf Bruchsal als wäre es gestern gewesen.

Martha Maier, geboren  1928, wohnte mit ihren Eltern Emma und Ludwig Beisel und vier Schwestern während des Zweiten Weltkrieges in der Prinz-Wilhelm-Straße, direkt am Bahnhof von Bruchsal.
Dieses Areal war im Krieg natürlich stark gefährdet. Im Spätjahr 1944 wurde die Angst vor Bombenangriffen auf den Verkehrsknotenpunkt Bruchsal immer größer, die Alarmsirenen heulten  täglich. „Wir hatten uns im Keller schon wohnlich eingerichtet“, schildert die heute 85-Jährige ihre Erinnerungen so präzise, als ob es gestern gewesen wäre. Im Dezember entschloss sich Ludwig Beisel dazu, seine Frau und die Kinder nach Zaisenhausen zur Verwandtschaft zu schicken.

„Morgens um fünf Uhr begleitete ich meine Mutter mit meinen beiden jüngeren Schwestern und meinem zwei Monate alten Neffen zur Bahnhaltestelle an den Schlachthof, vom Bahnhof aus fuhren schon keine Züge mehr. Es war bitterkalt und dunkel und wir Frauen waren mit dem Baby alleine unterwegs. Tagsüber wäre dieser Fußmarsch ans andere Ende der Stadt schon nicht mehr gefahrlos möglich gewesen, denn es gab immer wieder Fliegeralarm“, erzählt sie weiter. Nachdem die Mutter und die Kinder abgefahren waren, blieb Martha  alleine zurück. Sie hatte einen Ausbildungsplatz bei VES, den Vereinigten Eisenbahnsignalwerken (später Siemens) und wollte diese Stelle nicht verlieren. Noch heute ist sie etwas ratlos über die Situation, wenn sie davon erzählt. „Ich war nun einfach alleine und wusste eigentlich gar nicht recht, wohin ich sollte“, sagt sie und schüttelt den Kopf. In der verlassenen elterlichen Wohnung war sie alleine, der Vater war als Eisenbahnzugführer ständig unterwegs. Gefährlich war es dort auch.  Glücklicherweise zögerten die Eltern einer Geschäftskollegin  nicht und nahmen die gerademal 16-jährige Martha bei sich zu Hause auf.

„Die Familie hatte auch nicht viel Platz, aber das war kein Thema, ich durfte bleiben.“

Bis zu dem Tag, den keiner der Überlebenden jemals vergisst, den  1. März 1945.

„Wir hatten bei VES Mittagspause von 13.15 Uhr bis 13.45 Uhr. Als wir auf dem Rückweg in unsere Abteilung den Werkshof  überquerten ging unsere Sirene los. Als Großbetrieb besaßen die VES ein Frühwarnsignal, die Sirenen in der Stadt gaben noch gar keinen Alarm. Schnell rannten wir in den Keller. Dort war alles gut organisiert. Jede Abteilung hatte ihr eigenes Abteil, jeder hatte seinen bestimmten Platz. Bei früheren Alarmen bin ich einige Male einfach mit in den Keller der Lichtpauserei  gegangen, aber das war mir nicht mehr erlaubt worden. Bevor wir uns richtig niederließen, fielen schon die ersten Bomben. Eine Druckwelle warf mich zu Boden, ich blieb benommen liegen. Bruno Geiger, ein Kollege, half mir auf und zerrte mich durch einen Spalt in der zerstörten Tür in den nächsten Keller und danach immer weiter. Irgendwie gelangten wir so nach draußen. Als Dritter kam noch Fritz Knoch zu uns dazu und wir rannten gemeinsam weg in Richtung unterer Schlossgarten. Etwa auf der Höhe des alten TSG Platzes suchten wir Schutz an der Wand des Hausmeisterhauses, in den Keller zu flüchten, dafür hat die Zeit nicht mehr gereicht. Im strahlenden Sonnenlicht  dieses schönen Frühlingstages sahen wir die Bomben der zweiten Angriffswelle am Himmel  glitzern. Kurz darauf kam auch die dritte Angriffswelle  über Bruchsal nieder, alles brannte. Da erst bemerkte ich, dass ich keine Schuhe mehr an hatte, die steckten noch irgendwo im Luftschutzkeller der VES fest. Was sollten wir nun tun? Bruno Geiger fiel plötzlich sein Fahrrad ein, das er noch auf dem Werksgelände stehen hatte. Ohne über die Gefahr nachzudenken, lief er zurück und holte sein Rad.

Es gibt auch schöne Erinnerungen: Trotz der schweren Kriegszeit versuchten junge Leute damals auch das Leben zu genießen, soweit es möglich war
Es gibt auch schöne Erinnerungen: Trotz der schweren Kriegszeit versuchten junge Leute damals auch das Leben zu genießen, soweit es möglich war

Am späten Nachmittag fuhr er mit mir auf dem Gepäckträger dann im großen Bogen um die zerstörte Stadt, über den Friedhof und  das St. Paulusheim, um irgendwo einen Unterschlupf zu finden. Den fand ich dann in der Schönbornstraße bei der Familie eines weiteren Kollegen,  hier war nicht viel kaputt. Gott sei Dank  durfte ich bleiben. Drei Tage blieb ich dort zusammen mit anderen „Flüchtlingen“ und wusste nicht mehr weiter. Täglich bin ich zu meiner ehemaligen Arbeitsstelle gelaufen. Hier trafen sich Angehörige, die nach Lebenszeichen suchten, Verschüttete wurden ausgegraben, Tote geborgen. Meine Hoffnung war, meinen Vater zu treffen. Was ich nicht wissen konnte war, dass mein Vater ebenfalls täglich von Zaisenhausen nach Bruchsal lief, um mich zu suchen. Wir trafen uns jedoch nicht.“

Ein gleichaltriger Kollege aus Bruchsal  bot Martha schließlich an, sie  mit dem Fahrrad nach Zaisenhausen zu begleiten, was das junge Mädchen natürlich gern annahm. Die Eltern waren sehr froh, als ihre Tochter endlich gesund bei ihnen auftauchte.
„Über 100 Leute starben im Keller der VES, darunter auch Kollegen im Keller der Lichtpauserei. Meine Handtasche und meinen Mantel fand man im Spätjahr 1945 bei den Aufräumarbeiten. Helmut Wehrle, der Junge, der mich mit dem Rad nach Zaisenhausen brachte, wurde kurz darauf zum Kriegsdienst eingezogen und kam nie wieder nach Hause.“

Text: Andrea Bacher-Schäfer, Bilder:  privat, Stadtarchiv, Karl Ohler

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