In Bruchsal leben 4.563 Personen im Alter von 65 bis 75 Jahren, 76 und älter sind 4.639, was einem gesamten Bevölkerungsanteil von 20,1 Prozent entspricht. Laut Volker Falkenstein, Seniorenbeauftragten der Stadt Bruchsal, wird aufgrund der demografischen Entwicklung bis 2025 prognostiziert, dass der Anteil, der über 65-Jährigen um 12,1 Prozent ansteigen wird, der Anteil der über 80-Jährigen um 17,3 Prozent.
Bruchsal hat sich deshalb seit 2005 mit dem Projekt „Neues Altern in der Stadt“ (NAIS) auf den Weg gemacht, alters- und bedarfsgerechte Angebote und Strukturen mit der Bevölkerung zu entwickeln und alle Initiativen, einschließlich des aktiven Seniorenrats mit der neuen kommunalen Altenhilfeplanung aktualisiert.
„Die Menschen, die zu uns kommen und nach Beratung, Unterstützung und Hilfe fragen, scheuen sich sehr, über ihrer prekäre Lebenssituation zu sprechen. Es kostet sie viel Überwindung,“ sagt Ulrike Fettig-Durst vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirchenbezirke im Landkreis Karlsruhe.
„Ich will kein Almosenempfänger sein“
Frau G. aus Bruchsal hat ihr berichtet: „Seit meinem 16. Lebensjahr arbeite ich – habe zwei Berufe mit Abschluss. Dann habe ich einige persönliche Schicksalsschläge erlebt, Krankheit kam noch dazu und jetzt bin ich im Alter noch auf Arbeitslosengeld angewiesen. Es reicht gerade so, aber es darf nichts dazwischenkommen. Was aber immer mal passiert, z.B. wenn ein Haushaltsgerät kaputtgeht, oder wie jetzt meine letzte Mietnebenkostenabrechnung höher war. Ich finde es beschämend und traurig, dass ich nach so vielen Jahren, die ich in die Renten- und Arbeitslosenversicherung einbezahlt habe, mit so wenig Geld abgespeist werde. Ich bin sicher kein Einzelfall.“
Sie berichtet auch, dass es für sie ein Kraftakt war, zur Beratung zu kommen, denn zum ersten Mal in ihrem Leben braucht sie finanzielle Hilfe, hat keine finanziellen Reserven mehr und deshalb auch Schulden gemacht. Sie war so beschämt und verzweifelt, jetzt auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein: „Ich habe doch mein ganzes Leben gearbeitet, sicherlich nicht viel verdient, aber nicht gedacht, dass es im letzten Drittel des Lebens finanziell nicht mehr reicht.“ Dennoch möchte sie ungern Bittsteller oder Almosenempfänger sein.
Professor Manfred Raupp vom Seniorenrat in Stutensee weist darauf hin, dass ein Hilfsangebot an Betagte in hochdeutscher Sprache irritiert und deren Zurückhaltung verstärkt. Nur der regionale Dialekt wirke vertrauensbildend. Auch ihn wundert sehr, dass die Seniorinnen und Senioren in der aktuellen Quartierumfrage der Stadt Stutensee zahlreiche Vorschläge für organisatorische Hilfen einbringen, die Angebote dann aber nur sehr zögerlich in Anspruch nehmen.
„Ich finde es traurig, dass ich mit so wenig Geld abgespeist werde“
Falscher Stolz und niemandem auf der Tasche liegen wollen sind die üblichen Beweggründe dafür, lieber still und zurückgezogen zu leiden. Hilfreich ist, wenn die Betroffenen sich an Sozialverbände wie Caritas oder Diakonie wenden, denn dort gibt es Fachleute für Hilfsquellen, auch eigene Unterstützungsmodelle. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, ob und wo bei staatlichen Stellen Hilfen beantragt werden könnten. Dazu bedarf es aber eines mutigen Schritts, denn gerade Bedürftige der Seniorengeneration zieren und schämen sich mitunter, Hilfen anzufragen.
Frau M, aus Bruchsal, geb. 1949 war in der Gastronomie tätig, lange Zeit im Niedriglohnsektor, dann in Kinderzeit. Deshalb hat sie nur 435,- Euro Rente. Einen neuen Kühlschrank kann sie nicht bezahlen. Doch es gelang nur schwer, sie zu einem Grundsicherungsantrag zu bewegen, berichtet Andrea Greber vom Caritas Sozialdienst.
„Ich war selbständig, habe aber nur 10 Jahre in die Rentenversicherung einbezahlt und muss aktuell mit mtl. 323,- Euro auskommen. Neuerdings arbeite ich für 450,- Euro als Hausmeister, obwohl ich nicht bei bester Gesundheit bin,“ erklärte ihr Herr M. aus Bruchsal, Jahrgang 1958.
In großer Not lebt ein ehemaliger Schausteller, der obendrein Schulden bei der GEZ hat und kaum weiß, wie er mit mtl. nur 500 Euro seine Tiere versorgen soll. Aber dennoch verweigert er einen Antrag auf Grundsicherung, weil er meint, es gäbe andere, die noch ärmer dran seien.
Herr B., 71 Jahre, aus Stammberg in Bayern hat eine Ausbildung zum Dachdecker gemacht. Kurz nach seinem Rentenbeginn bekam er einen Schlaganfall und ist ins Pflegeheim eingezogen, berichtet Elvira Hüttner vom Evangelischen Altenzentrum in der Huttenstraße. Heute ist er auf Sozialhilfe angewiesen, leidet aber sehr darunter, dass seine 100 Euro Taschengeld nicht ausreichen und er sich öfter von anderen Geld leihen muss.
Herr W., 68 Jahre, aus Kirrlach hat zwei Berufe gelernt, Blechner und Installateur, und immer in seinem Beruf gearbeitet. Er verdiente ca. 2500 Euro netto. Vier Jahre vor Rentenbeginn wurde seine Firma aufgelöst. Er wurde arbeitslos und war zu alt für eine neue Jobvermittlung. Zunächst bezog er ein Jahr ALG 1, dann ALG 2 (Hartz 4) mit einem Regelsatz von ca. 400 Euro. Seine Rente beträgt ca. 940 Euro. Er bekommt im Pflegeheim das übliche Taschengeld. Was ihm besonders weh tut ist, dass er sich das Internet nicht mehr leisten kann.
Edgar B. aus F. hat in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts einen Handwerksbetrieb aufgebaut und in der Hochzinsphase mit Darlehen finanziert. Deshalb gab es keine Urlaubsreisen, fatalerweise auch nur minimale Einzahlungen in die Rentenkasse. Mit 860,- Euro Rente kann er zwar seine Alltagsbedarfe bezahlen, aber die Angebote für eine Renovierung liegen monatelang unbeantwortet. Sein Sohn kann und würde gerne helfen, aber der Vater verheimlicht die Angebote und lebt weiter bescheiden und zurückhaltend mit defektem Waschbecken, tropfendem Wasserhahn und losen Bodenfliesen.
Der Anteil älterer Menschen im Rentenalter steigt auch bei den Tafeln stetig an. Oft erfahren die Tafeln nur durch Angehörige oder Bekannte der Betroffenen, wie ernst und prekär deren Situation ist. „Du musst alles alleine schaffen! Hilfe ist Schwäche, ist Versagen!“ Viele Betagte sind mit solchen Werten groß geworden und haben Schwierigkeiten, sich davon zu befreien. „Wir denken, dass wir vor anderen Menschen als Verlierer und Schwächling da stehen oder Mitmenschen zu sehr belasten oder gar moralisch unter Druck setzen, wenn wir um Hilfe bitten.“
Gerade bei den eignen Kindern fällt dies schwer, denn die Eltern waren in der Familie doch immer die Starken, die alles im Griff hatten. Eine Umkehr dieser eingefahrenen Rollen ist oft nicht so leicht. Für alle im Stillen verzichtenden und leidenden Mitmenschen der älteren Generation gibt es sehr wohl staatlich und caritative Hilfen, finanziell wie organisatorisch. Nur die Betroffenen müssen sich auch helfen lassen.
„Ich schäme mich, um Hilfe zu bitten“
So haben z.B. auch Stiftungen und Dienstclubs wie Rotary und Zonta die Altersarmut im Visier. In den vergangenen zehn Monaten hat die neue Stiftung bei Rotary Bruchsal-Schönborn insgesamt 15.000 Euro an Caritas und Diakonie überwiesen, um Seniorinnen und Senioren bei finanziellen Engpässen rasch und unbürokratisch zu helfen. Schon in der Startphase haben Zuwendungen aus dieser neuen Stiftung praktisch geholfen: Ein Senior hat seit einiger Zeit große Probleme mit den Augen. Standardmäßige Untersuchungen, die von der Kasse abgedeckt werden, reichen nicht aus, um eine wirkungsvolle Therapie einzuleiten. Das spezielle Diagnoseverfahren in der Universitätsklinik Heidelberg wird nicht von der Krankenkasse übernommen. Der Betrag wurde von der Rotary-Stiftung beglichen. Oder wenn Oma und Opa Ihren Enkelkindern kleine Geschenke machen wollen, dafür ihr Budget aber nicht ausreicht.
Zu hoffen ist, dass Betroffene der älteren Generation von den neuen Hilfsmöglichkeiten erfahren und sich auch trauen anzufragen. Denn ältere Mitmenschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, sollten im Alter weniger leiden und verzichten müssen.
Text: Johann J. Beichel