
Dass auch in unserem Landkreis der technische Fortschritt im Gesundheitswesen Einzug hält, lässt sich daran erkennen, dass Befunde und Röntgenbilder inzwischen tatsächlich digital weitergeleitet und nicht mehr per Bote von Praxis zu Praxis transportiert werden oder wenn der Arzt per Anrufbeantworter darüber aufklärt, dass man sich einen passenden Termin doch bitte über das Internet auswählen sollte.
Ist man früher als stolzer Besitzer eines Röntgenbilds mit einem überdimensionierten braunen Umschlag in der Hand durch die Stadt gelaufen und war beim Facharzt dann fast beleidigt, wenn dieser kaum einen Blick auf die Aufnahmen warf, so wird man inzwischen sogar ermuntert, selbstgemachte Fotos und Schnappschüsse beim Online-Doktor hochzuladen, um diesem für eine erste Beurteilung des Gesundheitszustandes Hilfestellung zu leisten.
Und während man früher den Vormittag im Wartezimmer verbrachte und ältere Herrschaften gerne ein Schwätzchen hielten und in Zeitschriften das Neueste aus den Königshäusern erfuhren, wird man inzwischen recht zügig ins Behandlungszimmer gerufen. Aber eben nur dann, wenn man überhaupt einen Termin bekommt und vorgelassen wird.
Will man nicht monatelang auf einen Facharzttermin warten und gehört auch nicht zu diesen unverschämten Zeitgenossen, die neuerdings selbst bei kleineren Wehwehchen einfach zur Notaufnahme gehen, dort die knappen Ressourcen strapazieren oder gar noch das Personal bedrohen, so hilft neben zeitlicher und räumlicher Flexibilität zunehmend eine gewisse Expertise auf Online-Portalen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) bietet für gesetzlich Versicherte über docdirect per Telefon oder Video-Call Hilfe an. Terminvereinbarungen sind laut KV unter der Nummer 116117 möglich und unter 0711-7875-3966 (MedCall) unterstützt die KV bei der Suche nach speziellen Untersuchungen oder barrierefreien Arztpraxen.
Nutzt man diese Möglichkeiten erstmals im fortgeschrittenen Alter, so gleicht das Ganze fast einer Offenbarung. Auch bei Doctolib oder dem Online Doctor, ob für eine Terminvereinbarung oder der Online-Beurteilung Ihres Gesundheitszustandes, erst werden natürlich Angaben zur Person abgefragt, über deren Art und Umfang frühere Generationen sich nur verwundert hätten. Danach geht es aber ans Eingemachte.
Haben Sie Probleme mit Wirbeln und Gelenken, so stehen Ihnen für die Terminart beispielsweise Knie oder Hüfte zur Auswahl. Wollen Sie einen Termin bei einem Radiologen, so sollten Sie schon zwischen LWS, BWS oder HWS unterscheiden können. Aber keine Angst, beim Ausfüllen der Fragebogen können Sie sich über die Begriffe ja parallel im Internet aufklären und dadurch Ihre eigenen medizinischen Kenntnisse weiterentwickeln. Und warum auch nicht? Weshalb sollte man sich mit Dübeln, Muffen, Zwingen und Scharnieren im Baumarkt besser auskennen als mit dem eigenen Hüftgelenk?
Zwischen Ferndiagnose und Selbst-OP liegt oft nur ein Klick.
Also warum nicht zum Online Doktor, der ja nicht in Bangalore sitzt, sondern meist um die Ecke. Dazu vielleicht aber ein nützlicher Tipp: Überlegen Sie vorab, wie Sie Ihre Unpässlichkeit beschreiben würden. Sind Sie alleinstehend und haben ein äußerlich sichtbares Leiden, machen Sie vorab ein paar Fotos. Ebenso von Ihrer Versichertenkarte, denn Sie werden aufgefordert werden, all dies digital hochzuladen. Damit vermeiden Sie beim Ausfüllen des umfangreichen Fragebogens plötzlich von der abrupten Aufforderung überrumpelt zu werden, anschauliches Bildmaterial hochzuladen und hektisch eine verwertbare Nahaufnahme Ihres Hinterkopfs oder Rückens zu machen.
Und siehe da, überrascht von den eigenen Fähigkeiten und nach Abschluss des Anmeldevorgangs bekommen Sie tatsächlich nach einigen Stunden eine schriftliche Beurteilung Ihres Leidens. Offensichtlich lagen Sie mit Ihrer eigenen Einschätzung eines Ekzems nicht völlig daneben, da es sich, fachkundig ausgedrückt, wohl um ein Atherom handelt, allerdings lässt sich dies auch vom Facharzt per Ferndiagnose und Bildmaterial online nicht abschließend beurteilen. Im Notfall wird Ihnen geraten, den Notarzt aufzusuchen, ansonsten sollten Sie gleich am nächsten Morgen in der Praxis vorbeikommen.
Wenn diese Entwicklungen in der Medizin weiter fortschreiten, wird man zukünftig eventuell bald angehalten, neben den kassenüblichen Unterlagen und Fotos gleich noch eine haushaltsübliche Zange oder ein Messer zur Selbstbehandlung bereitzuhalten. Bei größeren Ekzemen böte sich dann vielleicht ein Teppich- oder Cuttermesser an, in äußerst hartnäckigen Fällen gar ein Bolzenschneider. Wobei ein Nachbar zur ambulanten Unterstützung herangezogen werden könnte, sind doch für Anfänger Komplikationen bisweilen nicht auszuschließen und unvermeidbar.
Derartiges passiert ja ebenso beim ungewohnten Aufbau von Möbeln oder anderen handwerklichen Tätigkeiten in Haus und Heim. Auch da herrscht doch Verletzungsgefahr. Rutscht nicht öfter mal der Kreuzschlitzschraubenzieher vom Schraubenkopfprofil in die Handfläche und schraubt sich statt in den Metallstift tief in Daumen oder Handballen? Und wie schnell wackelt erst ein Schrank, dann die Leiter und danach der darauf Stehende? Warum sollte es in der häuslichen oder ambulanten Medizin anders sein? Sollten gravierende medizinische Probleme auftreten, so lässt sich ja immer noch der Notarzt rufen, oder der Nachbar legt Sie einfach auf den Rücksitz seines Autos und ab ins Krankenhaus.
Und was spricht angesichts notwendiger medizinischer Einsparungen dagegen, dass in Zukunft die Paketzusteller nicht nur Möbelstücke, Fertigsuppen und Unterwäsche frei Haus liefern, sondern eben auch handliches Sezierbesteck für Fortgeschrittene oder sterile dermatologische Sets und Mullbinden für kleinere operative Eingriffe mit anschaulichem, umfangreichem Anleitungs- und Übungsmaterial? Dann würde es sich irgendwann auch erübrigen, dass ein Mediziner die Prozedur wenigstens noch per Videokonferenz überwacht oder begleitet.
Übrigens schien dem Betroffenen angesichts derartig rosiger Aussichten die Schwellung unter der Haut schon nicht mehr so schmerzhaft und akut. Zwar riet der Arzt, gegebenenfalls den Chirurgen aufzusuchen, man könne vielleicht aber auch noch abwarten. Der Patient entschied sich erstmal für Letzteres, denn Geduld soll bisweilen recht heilsam sein.