Bruchsal und überall | Uns flatterte kürzlich eine Pressemitteilung eines Bruchsaler „Speakers“ ins E-Mail-Postfach, was der Anlass dieser Zwischenbemerkung ist. Der Text preist seine „maßgebliche Rolle“ bei einem Weltrekord-Speaker-Slam, listet eine ganze Salve gewonnener Wettbewerbe auf und klingt, als habe man es mit dem nächsten Barack Obama der Rhetorik zu tun. Wer den Wortlaut googelt, stößt jedoch schnell auf denselben Artikel in einem lokalen Community-Portal – dort wurde er von einem Nutzer selbst eingestellt, ohne jede redaktionelle Prüfung.
Genau hier liegt das Grundproblem der aktuellen Speaker-Inflation: Sichtbarkeit ist käuflich. Viele „Slams“ funktionieren nach dem Pay-to-Play-Prinzip. Beim bekanntesten deutschsprachigen Anbieter kostet das begleitende Gold-Programm 4 990 €; die Teilnahme am Slam samt Video-Mitschnitt wird als „Selbstkostenpauschale“ abgerechnet. Wer zahlt, darf reden – und anschließend mit Pokal, Urkunde und Blau-gelbem Weltrekord-Sticker werben.
So entstehen Schlagzeilen wie „über 200 Redner aus 26 Ländern – neuer Weltrekord!“. Die Zahl stimmt; sie stammt aus der eigenen Pressearbeit des Veranstalters zum Slam in Niedernhausen Mitte Mai. (Presseportal: Presse-Board.de) Doch ein Rekord in der Kategorie „meiste Kurzreden an einem Abend“ sagt wenig über die Qualität der einzelnen Auftritte aus – er sorgt vor allem für ein fotogenes Siegerschild. Und dann veröffentlicht man die Story in den nicht-prüfenden Online-Portalen, auf Facebook, Insta, Cha-Cha-Cha!
Unser Beispiel-Coach macht es ebenso. In seiner Mitteilung reiht er Siege bei Toastmasters, Founder-Summit, Science- und Business-Slam aneinander, ohne eine einzige unabhängige Quelle über seine Leistung zu nennen. Dass solche Titel oft nur innerhalb der Szene bekannt sind, stört kaum: Hauptsache, das Linked-In-Profil wirkt lang und glänzt. Wer noch mehr Glanz braucht, schaltet eine Meldung auf openPR oder ähnlichen Portalen; das kostet einige Dutzend Euro und landet dank Google News in den Suchergebnissen.
Parallel boomt eine zweite Blase: die Mindset-Szene. Kaum ein Coach, der nicht verspricht, mit der richtigen inneren Haltung sämtliche Karriere- und Lebensprobleme zu lösen – natürlich gegen Honorar. Der Weltmarktforschungsverband ICF schätzt den Coaching-Umsatz inzwischen auf über 4,5 Milliarden Dollar, bei rapide steigender Zahl selbsternannter Expertinnen und Experten; Kritiker sprechen bereits von einer „unregulierten Industrie“ mit fragwürdigen Heilsversprechen und hoher Abhängigkeitsgefahr für die zahlende Gefolgschaft. (DIE WELT)
Es geht nicht um diesen einen Speaker. Vielleicht ist er sogar tatsächlich super und ein Weltrekordler. Sein Vorgehen steht exemplarisch für einen schnellen Karrierepfad: Coachingpaket buchen, vier Minuten auf der Bühne stehen, eigene Pressemeldung verschicken – und schon ist man „international ausgezeichneter Experte“. In Zeiten, in denen jeder Click ein potenzieller Kunde sein kann, ersetzt solche Eigen-PR für viele die mühsame Aufbauarbeit echter Referenzen.
Landfunker publiziert keine ungeprüften Beiträge, sondern nimmt das zwischendurch mal als Anlass, eine andere Sichtweise darzustellen
… meint Leo Landfunker
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