WILLI-Reportage | Nachgedacht: Gleichstellung – nur noch eine hohle Floskel?

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Im März jeden Jahres stehen Gleichberechtigung und Integration oft im besonderen Fokus. Höhepunkt der vielfältigen Aktivitäten ist zweifels-ohne der Internationale Frauentag am 8. März, der in der Bundeshauptstadt inzwischen offizieller Feiertag ist. Dass Fragen der Gleichberechtigung und Integration auch auf kommunaler Ebene von essentieller Bedeutung sind, ist unstrittig. Allein, wie steht es teilweise um deren Umsetzung? Sind institutionalisierte Aktionswochen ein Maßstab für Erfolg?

Wenn man in Bruchsal an der Prinz-Wilhelm-Straße nahe des Bahnhofs vorbeikommt, prangen an den Balkonen des AWO-Gebäudes weithin sichtbar die Slogans: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz. Diese Grundwerte des demokratischen Sozialismus werden von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) bis heute propagiert. Gründerin der AWO war die Sozialdemokratin Marie Juchacz, die nach Einführung des Frauenwahlrechts 1919 vor der Nationalversammlung ihre erste Rede mit den Worten „Meine Herren – und Damen“, begann, worauf manche Volksvertreter laut Protokoll meinten, mit „Aha und Heiterkeit“ antworten zu müssen. Viele unheimlich starke Frauen wirken bis heute auch in unseren Kommunen vor Ort, oft wenig beachtet, meist ehrenamtlich und vielfach aus rein humanitärem Verständnis, jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Ihr Wirken hinterlässt Spuren und hat Respekt verdient.

Ist aber die inzwischen fast allumfassende Bürokratisierung und Institutionalisierung von Integrations- und Gleichstellungsfragen selbst auf kommunaler Ebene immer hilfreich oder versanden nicht manche gutgemeinten Hilfen zunehmend im bürokratischen Dschungel? Schmücken sich die Kommunen inzwischen nur mit Labels von Gleichstellung und Integration oder erzielen die Beauftragten tatsächlich messbare Erfolge? Gibt es eine klare, transparente Agenda, die in ihrer Wirkung nachhaltig ist oder verfolgt man zu oft eine rein aktionistische Ziele?

Beim Landkreis Karlsruhe sind Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte beschäftigt und einige größere Kommunen leisten sich sogar ihr eigenes Personal. Aber selbst Kenner der Materie fragen sich, wie deren Aufgaben jeweils strukturiert und umrissen sind und zu welchen tatsächlichen Ergebnissen spezifische Events, Fördermaßnahmen und Veranstaltungen führen. Denn mancher Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die Zuständigen pflegen zu oft Nabelschau, produzieren hübsche Flyer und Hochglanzbroschüren und betreiben hauptsächlich Monitoring in Form wiederkehrender Fleißarbeitsmappen. Ist das der Grund, weshalb der Landkreis wie auch die Stadt Bruchsal von jährlichen Fortschrittsberichten Abstand genommen haben? Gibt es zu wenig Essentielles zu berichten?

Gleichberechtigung braucht Umsetzung.

Auch mangelt es wiederholt an personeller Kontinuität. In Bruchsal gaben sich innerhalb eines Jahres gleich drei Gleichstellungsbeauftragte die Klinke in die Hand. Die Vorgängerin der derzeitigen Amtsinhaberin war ursprünglich Leiterin der Bruchsaler Tourismus, Marketing und Veranstaltungs GmbH, wurde nach ihrer Zeit im Mutterschutz Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, verließ diesen Posten aber schon nach sechs Monaten aus freien Stücken. Kann man in dieser Zeit als Beauftragte überhaupt Substantielles leisten; abgesehen von hübschen PR-Fotos zur Einführung und Verabschiedung im Amt? Es ist zu hoffen, dass die Nachfolgerin und derzeitig Zuständige mehr Durchhaltevermögen und Herzblut an den Tag legen wird. Ansonsten wäre es wohl praktikabler und zum Beispiel in kleineren Gemeinden wie Forst oder Gondelsheim üblich, die Aufgaben auf die Landkreisebene zu verlagern, wenngleich die Dinge auch dort bezeichnenderweise ebenfalls im Umbruch scheinen und bei Kontinuität und Effizienz noch einige Luft nach oben ist.

Ähnliches gilt für den Bereich Integration. Nicht nur der Landkreis und die Kommunen, auch unzählige weitere Institutionen wie Caritas, Diakonie oder AWO bieten eine kaum noch überschaubare Palette an Hilfsangeboten, die dennoch die wirklich Notleidenden bisweilen nicht erreichen. Über die Effizienz mancher Maßnahmen im bürokratischen Dickicht lässt sich trefflich streiten, werden die Hilfen doch oft nach dem Gießkannenprinzip über die vermeintlich Hilfsbedürftigen geschüttet. Und statt die Sachlage und sozialen Gegebenheiten und Zustände immer klar zu benennen, wird in verklausulierter Form vieles verkleistert. Denn gendergerechte Sprache und Floskeln wie „bildungsferne Schichten“, „kulturelle Vielfalt“, „migrantisch gelesene Menschen“ oder „sozial benachteiligte Familien“ tragen eher zur Vernebelung als zur Erhellung der Faktenlage bei. Und bisweilen gerät auch der gesunde Menschenverstand gewaltig ins Hintertreffen.

Werte statt Aktionismus.

Ein Beispiel dafür ist die kürzlich auch in unserer Region durchgeführte Befragung im Rahmen des Mikrozensus in ausgewählten Haushalten. Sicherlich benötigen wir statistische Erhebungen, auch um mehr über Armut, Gleichberechtigung und Integration zu erfahren. Was wir aber nicht brauchen, sind hochbezahlte Bürokraten, die mit Wortklauberei Menschen vor den Kopf stoßen. Ein Beispiel gefällig? So wurde tatsächlich in einem Haushalt in Bruchsal gefragt: „Welche Person ist die Mutter der elfjährigen Tochter im Haushalt?“. Zur Auswahl standen im Fragebogen vorgedruckt nicht nur die Namen und Altersangaben des Vaters wie auch der Mutter, sondern ebenso Name und Alter des zwanzigjährigen Bruders und der achtzehnjährigen Schwester. Ja geht’s noch! Bitte weg mit derartigem Schwachsinn. Gleichberechtigung und

Hubert Hieke

Unvoreingenommenheit schön und gut; aber bitte nicht mit Absurditäten überfrachten.

Übrigens könnten wir uns vielleicht wieder mehr an der ursprünglichen Motivation und den Zielen von Wegbereiterinnen wie Marie Juchacz orientieren, um gesellschaftliche Werte wie Gemeinwohl, Gerechtigkeit und Gleichstellung zu festigen. Dabei muss man ja nicht unbedingt so tölpelhaft vorgehen, wie die Sozialdemokratin Saskia Esken, die bei einer Wahlkampfveranstaltung in unserer Region letzten Monat offensichtlich dachte, als besonders schlagkräftige Verfechterin von Frauenrechten auftreten zu müssen und vor dem versammelten Publikum klarstellte: „Ich nehme nur Fragen von Frauen an“. Selbst weibliche Zuhörer sah man nur die Köpfe schütteln.

Text: Hubert Hieke

Aus RegioMagazin WILLI 03/2025

 

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