28.11.2024 | Gastkommentar von Rainer Kaufmann
In der Bruchsaler Rundschau vom 28.11. meldet sich der frühere Oberbürgermeister Bernd Doll mit einem Kommentar zur Zukunft des „Bären“ zu Wort. Ein beachtlicher Einwurf des früheren Stadtoberhauptes, wobei er allerdings vergisst, welche kuriosen Fehlleistungen die damalige Historische Kommission unter seiner Amtszeit sich gerade bei der geschichtlichen Betrachtung des gut-bürgerlichen Restaurants geleistet hat.
Aber, seit zwei Tagen gilt ja: Jeder darf sich seine eigenen Fehler einfach merkeln, besser gesagt: weg-merkeln. Damit sich Bernd Doll und vor allem diejenigen, die sich jetzt auch mit seinem wirklich bedenkenswerten Vorschlag zu beschäftigen haben, etwas mehr über die Geschichte dieses Hauses wissen, hier ein Textauszug aus meiner Stadtführung „Demokratiegeschichte Bruchsal“. Seit zwei Jahren habe ich diese Führung im Auftrag der Tourismus-Information der BTMV mit durchaus positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden durchgezogen.
Station 3: Gasthaus „Zum Bären“ oder „Hetterich`sches Bierhaus“
Das Traditionsgasthaus „Zum Bären“ steht stadtauswärts am Damianstor in direkter Nachbarschaft zum Zuchthaus. Aus dem Heimatlexikon der Stadt Bruchsal, erschienen im Jahr 1996, kann man entnehmen, dass es im vorletzten Jahrhundert zunächst eine Brauerei mit Gaststätte war, das „Hetterich`sche Bierhaus“.
Den „Bären“ gab es allerdings schon seit 1768 und zwar in der Stadtmitte, in der Kaiserstraße, die damals noch Hauptmarktstraße hieß. Letzter Wirt war dort der Konditormeister Josef Dillmann, der es 1849 an einen Kaufmann Anton Bopp veräußerte, der am 5.12.1855 erst die Schildgerechtigkeit „Zum Bären“ an Georg Heinrich Hetterich veräußerte.
Was das „Heimatlexikon verschweigt“
Den historisch interessanten Hintergrund dieser Transaktion verschweigt das Heimatlexikon, herausgegeben von der damaligen Kommission für Stadtgeschichte, allerdings. Das Hetterich`sche Bierhaus war einer der Treffpunkte des Bruchsaler Volksvereins und Heinrich Hetterich war einer der Hauptinitiatoren des Aufruhrs in Bruchsal, der am 13. Mai 1849 zur Befreiung der politischen Gefangenen aus dem Bruchsaler Zuchthaus führte.
Nach der Niederlage der Revolution wurde er wegen Hochverrats angeklagt, zu einer 10-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt und in das benachbarte Zuchthaus eingeliefert. Aus – nicht ganz unbegründeter – Angst vor weiteren Unruhen in Bruchsal ließ ihn der Zuchthausverwalter aber ganz schnell nach Freiburg verlegen. 1853 wurde er begnadigt. Es ist wohl davon auszugehen, dass Hetterich zwei Jahre nach seiner Begnadigung den neuen Namen „Bären“ vor allem deshalb annahm, damit er in Zeiten der preußischen Reaktion die wahre Geschichte seines Bierhauses wenigstens etwas verheimlichen konnte.
Ein anderer Treffpunkt der Bruchsaler Volksvereine war das Gasthaus „Zum Schwanen“, das an der Ecke Württemberger Straße zur Friedhofstraße gelegen war. Dessen Wirt Johann Georg Jung führte die Bruchsaler Demokratischen Volksvereine. Die Stammtische radikaldemokratischer Wirte, an denen sich Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker und Handwerksmeister trafen, entwickelten sich zu Keimzellen der Bewegung
Zur Vorgeschichte dieser demokratischen Bewegung eine Zusammenfassung vom Bruchsaler Historiker Dr. Jürgen Dick:
„Bereits in den Jahren vor der Revolution war es zu einer zunehmenden Politisierung der Bevölkerung im Großherzogtum Baden gekommen. Im Dezember 1848 wurden die von der Frankfurter Nationalversammlung erlassenen Grundrechte veröffentlicht. Darin wurde auch das freie Vereins- und Versammlungsrecht garantiert, was einen enormen Aufschwung des demokratischen Vereinswesens zur Folge hatte.
Anfang 1849 wurde mit dem Landesausschuss der Volksvereine in Mannheim ein Leitungsgremium etabliert. An der Spitze stand Lorenz Brentano, ein liberaler Jurist, der damals in Bruchsal wohnte. Es gelang ihm und vor allem seinem Stellvertreter Amand Goegg, eine straffe Organisation aufzubauen. Sie hatte mit ihrer Mitgliederzahl und ihrer Struktur bereits die Merkmale einer Volkspartei.
Die Volksvereine verbreiteten demokratisches Gedankengut in der Bevölkerung und haben mit ihrer politischen Basisarbeit wesentlich zum kurzfristigen Erfolg der Badischen Revolution im Mai 1849 beigetragen.“
Obwohl es im GLA hinreichend Akten und Quellen dazu gab, hat man sich in Bruchsal zu diesem Thema damit herausgeredet, dass ja durch den Bombenangriff vom 1. März 1945 in Bruchsal viele Archiv-Unterlagen vernichtet wurden. Keine Akten, keine Fragen – wie bequem. Deshalb findet sich im Heimatlexikon der Stadt Bruchsal zur Geschichte des Bären und seiner früheren Inhaber, den Brüdern Hetterich, nicht der geringste Hinweis auf das „Hetterich`sche Bierhaus“ und seine Rolle als Treffpunkt des Bruchsaler Volksvereins. Dafür aber die historisch besonders wichtige Information, dass der Bären in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, also nach dem Krieg
„ein beliebter Treffpunkt von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten gewesen ist, vor allem an Sitzungstagen des Bruchsaler Schöffengerichts“.
Der Autor dieser Erkenntnis war von Beruf Direktor des Bruchsaler Amtsgerichts und damit immer auf der Seite von Recht und Ordnung. Das erklärt auch seine innere Haltung zu Leuten, die gegen die bestehende Ordnung aufbegehrten. Filbinger lässt mal wieder grüßen: „Was damals Recht war….“ Dazu passt Megerles Bemerkung in einem TV-Interview am Ende der 1970-er Jahre, dass es in Bruchsal ja keine Revolution gegeben habe, das seien ja nur „Stammtischkrakeeler und Wirtshausbrüder gewesen“. Und die nahezu üble Bemerkung im Heimatlexikon der Stadt Bruchsal, wonach es nur „peinlich gewesen sei, dass sich die Führer der Revolution rechtzeitig selbst in Sicherheit gebracht hätten“.
Ja hätten sie, Brentano, Sigel und Hecker, die später in den USA Geschichte auf Seiten der freiheitlichen politischen Kräfte geschrieben haben, hätten sie besser in Bruchsaler Zuchthaus ihre langjährigen Haftstrafen, die ihnen gedroht hätten, absitzen müssen? Wobei anzumerken wäre, dass allen drei wohl eher eine standrechtliche Erschießung gedroht hätte.
Soweit der Auszug aus meiner Stadtführung. Zum Thema künftige Nutzung des Bären habe ich in meinen Stadtführungen folgendes erzählt:
Mein Vorschlag wäre, hier in der Nachbarschaft des Barockschlosses ein Gasthaus einzurichten, das sich in seiner Ausgestaltung vor allem den demokratischen Entwicklungen, die auch hier in dem Gebäude stattgefunden haben, widmet. Ein „Hetterich`scher Bierkeller“ samt „Hetterich`schem Biergarten“ wären ganz sicher touristische Anziehungspunkte, die die Stadt problemlos in dem bundesweit agierenden Tourismus-Konzept „Route der Demokratiegeschichte“, das derzeit aufgebaut wird, als einen Ankerpunkt anbieten könnte. Und für das Schloss als bisherige Tourismus-Marken-Artikel der Stadt wäre solch eine wichtige historische Ergänzung sicher mehr als nur eine Nebensache.
Für den Förderverein „Demokratiegeschichte Bruchsal“ kann ich hiermit erklären, dass wir jederzeit bereit sind, an der inhaltlichen Vorbereitung wie auch später an der Umsetzung dieses Projektes in Veranstaltungen und Ausstellungen auch an verantwortlicher Stelle mitzuarbeiten. In dem Zusammenhang seien alle Verantwortlichen in der Stadt noch einmal daran erinnert, dass es weitere Baustellen im Hinblick auf Korrekturen an früheren historischen Wahrheiten, die der Stadt unter der Ära Bernd Doll – zwar nicht von ihm persönlich aber von dessen Historischer Kommission – zugemutet wurden.
Zum Beispiel die Benennung der Säle im Bürgerzentrum nach mittelalterlichen Feudalherren anstelle nach Vorkämpfern unserer heutigen Demokratie, Vorkämpfern und Vorkämpferinnen, die in der Stadt Bruchsal gehandelt haben, oder an denen die damalige feudale Obrigkeit nach ihrer Art handeln ließ.
Die Jubiläumsjahre 1848/49 und Bauernkriege im 15. Jahrhundert und das wirklich beachtliche Veranstaltungsprogramm in Bruchsal zu beiden Themen, könnten doch Anlass sein, jetzt endlich einmal umzusetzen, was in Hintergrundgesprächen immer wieder zugesagt wurde. Ich denke, dass sich auch Bernd Doll, mit dem mich noch immer oder vielleicht gerade wieder eine gewisse „Männerfreundschaft“ verbindet, mit diesen Korrekturen am Geschichtsbild eines Robert Megerle einverstanden erklären kann.
Rainer Kaufmann
Über Rainer Kaufmann
Der gebürtige Bruchsaler Rainer Kaufmann ist Journalist, Gastronom, Gründer des 1. Bruchsaler Stadtkabaretts, war in den 90er Jahren Veranstalter von mehrtägigen Kulturevents im Schlachthof und im Atrium des Bürgerzentrums (auf eigene Rechnung!) und beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit der Geschichte seiner Heimatstadt – ob in TV-Dokumentationen, Büchern („Seilersbahn – ein Weg Geschichte“, „Elternstadt Bruchsal“), Theaterstücken („Unschädlichmachungen“), Kabarett-Aufführungen, Vorträgen oder als Stadtführer.
Landfunker nimmt das Angebot des oft unbequemen Rainer Kaufmann gerne an, in Form von Gastkommentaren seinen Leserinnen und Lesern eine andere Bruchsal-Perspektive zu bieten, die in der Regel jenseits der Selbstbelobigungen der Amtsblätter oder der Pressemitteilungen an die hiesigen Tageszeitungen und Internetportale liegt.
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