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RAINwurf | BNN-Testwahl und Kandidaten-Forum mehr als fragwürdig

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26. Juni 2025 | Der Gastkommentar von Rainer Kaufmann zur BNN-Testwahl

Man gestatte mir zunächst einmal folgende Vorbemerkung zu dieser Kolumne. Seit über 50 Jahren beobachte ich als hauptberuflicher Journalist Wahlen und Wahl-Veranstaltungen in Bund, Land und den Kommunen. Bei vielen Diskussionen vor allem mit Bewerbern von Wahlen war ich als fragender Journalist oder gar als Moderator beteiligt und dies in TV-Sendungen oder auf lokalen Veranstaltungen. Ich denke, dass ich daher durchaus berechtigt bin, mich kritisch-distanziert mit der Veranstaltung der BNN auseinanderzusetzen, der Zeitung und dem Verlag, in denen ich vor etwa 55 Jahren noch als Student meine journalistische Karriere begonnen habe.

 

Dies umso mehr, als ich gleich nach der Veranstaltung und heute Vormittag mehrfach um eine journalistische Bewertung der Veranstaltung gebeten wurde, was jeweils zur Aufforderung führte, ich könnte mich dazu aber auch öffentlich positionieren. „Wer, wenn nicht Du….“ Dem will und kann ich mich jetzt einfach nicht entziehen.

Eine zweite Vorbemerkung: Ich habe vor allem über den Förderverein „Demokratiegeschichte Bruchsal“, dessen Vorsitzender ich bin, mit den zwei Kandidaten, denen man eine ernsthafte Rolle in dieser Wahl zutrauen kann, ein gleichermaßen gutes und neutrales Verhältnis. Mit beiden habe ich mehrere Stunden Hintergrundgespräche geführt zum Thema offizielles Bruchsaler Geschichtsverständnis. Es kann mir niemand unterstellen, dass ich mich in irgendeiner Weise für einen der Kandidaten ausgesprochen hätte. Dass ich natürlich einen von den beiden wählen werde, ist meine persönliche Sache und hat nichts mit meinem journalistischen und gesellschaftlichen Engagement zu tun. Es darf damit nichts zu tun haben.

Zum Format der Diskussion

Jetzt zur Veranstaltung im Bruchsaler Bürgerzentrum. Zum Format der Diskussion kann man durchaus verschiedener Meinung sein. Ich hätte mir gewünscht, dass die einzelnen Fragen jedem der Kandidierenden mit einer gleichen Zeitvorgabe zur Beantwortung vorgelegt worden wären. Das hätte dem interessierten Wahl-Publikum dann wenigstens die Chance gegeben, Positionen der einzelnen Bewerbenden direkt miteinander zu vergleichen. Das ist doch der Sinn einer solchen Diskussion, der allerdings etwas vernachlässigt wurde.

Genauso fragwürdig war der Einsatz des so genannten „Leseranwalts“, der mehr oder weniger zufällig und keinesfalls inhaltlich strukturiert Fragen vortrug, die vorab von der Leserschaft eingesammelt wurden. Beides hat der Kandidaten-Präsentation keinesfalls genutzt.

Viel wichtiger aber ist die Bewertung der Probe-Abstimmung und deren Ergebnis. Da gibt es erhebliche Zweifel an der Seriosität des gesamten Vorgangs. Und dies schon gar im Grundsätzlichen: Journalisten haben Wahlen zu beobachten und der Wählerschaft hierzu seriös recherchierte Hintergründe in einer formal sauberen Diskussion zu vermitteln.

 

In den eigentlichen Wahlvorgang – auch Wochen davor – mit einer solchen Probe-Abstimmung einzugreifen, hat mit dem journalistischen Beruf und einem demokratisch verantwortlichen Medien-Verhalten nichts, aber auch gar nichts zu tun.

 

Wählerbefragungen bedürfen einer gewissen wissenschaftlichen Seriosität und vor allem einer repräsentativ sauber ermittelten Basis der Befragten. Selbst bei den Nachwahl-Befragungen an den Wahltagen, deren Ergebnisse dann zu den TV-Prognosen ab 18:00 Uhr führen, werden bundes- oder landesweit nur die Wahllokale ausgesucht, deren Wahlergebnisse in der Summe repräsentativ sind für die politische Situation im Land.

Diese Testwahl (hätte) überhaupt nicht erst veranstaltet werden dürfen

Bei der BNN-Testwahl war die Auswahl der Teilnehmer alles andere als repräsentativ, was Redaktion und Verlag immerhin einräumten. Sie entsprach der mehr oder weniger zufälligen Zusammensetzung des Publikums. Aber genau deshalb hätten diese Testwahl überhaupt nicht erst veranstaltet werden dürfen,

So ähnlich mag es bei der Testwahl ausgesehen haben (Bild: KI-generiert)

 

zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Testwähler die herumliegenden freien Wahlzettel, die andere aus dem Publikum aus guten Gründen erst gar nicht ausfüllten, für sich, d.h. den Kandidaten ihrer Wahl, hätten einsammeln und in die Urnen stecken können.

Der Manipulation waren Schlitz und Urne geöffnet.

Mehr als eine Art Show-Effekt kann man einem solchen Vorgehen nicht zubilligen. Und das ist einem seriösen Medienunternehmen, wie ich die BNN aus eigener Anschauung und jetzt jahrzehntelanger Lektüre noch immer einschätze, nicht angemessen. Ich kann meinen Kolleginnen und Kollegen nur den Rat geben, sich solcher Aktionen künftig zu enthalten. Sie tragen, das kann ich aus vielen Gesprächen des heutigen Tages versichern, in der Bruchsaler Bevölkerung nicht unbedingt zur Steigerung des journalistischen Rufes der Lokalzeitung bei.

Und mit dem Vorwurf der Wahlbeeinflussung müssen die Veranstalter jetzt leben, völlig unabhängig davon, dass man ihnen keinen Vorsatz unterstellen kann. Aus all den Gründen kann ich allen anraten, das publizierte Ergebnis dieser Testwahl nicht ernst zu nehmen und schnell zu vergessen.

Ich denke, dass mir die Kolleginnen und Kollegen der Bruchsaler Rundschau diese kritischen Anmerkungen in kollegialer Verbundenheit zugestehen.

 

Rainer Kaufmann


Freier Journalist, früher BNN und SWF-Fernsehen (u.a. Tagesschau, Regionalprogramm, Report Baden-Baden und andere TV-Dokumentationen), Mitglied der Kommission für Stadtgeschichte und verschiedener historisch-kultureller Organisationen.

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2 Feedback

  1. Lieber Herr Kaufmann, , Sie haben erneut ein wichtiges Thema erkannt! Konnten der Spargel oder weitere belanglose Fragen die Ernsthaftigkeit inklusive fragwürdiger Buh-Rufe um den eigentlichen Sinn dieser Veranstaltung letztlich trüben? Ich hätte mir auch die Fragen an die Bewerber gewünscht, die Antworten hätten dann die Fachkompetenz zur Urteilsfindung aufgezeigt. So wurden die Antworten entweder mit leeren Worthülsen oder zu langer Redezeit etwas langatmig. Ich hoffe, trotz leerer Kassen, das wichtigste Thema der Zukunft Hochwasser, Starkregen und Rückhaltebecken fallen nicht in den Brunnen. Wir in Helmsheim warten hierzu kurzfristig um Hilfe und weitreichende Verbesserung.

  2. Clemens Meister

    Lieber Rainer, du sprichst mir aus der Seele. Auch ich hatte eine gewisse Erwartung…leider ist die bei der Auswahl der Fragen schon nicht erfüllt worden… ganz ehrlich wie esse ich Spargel oder die Zukunft des Bären sind nicht die dringenden Fragen… und leider habe ich auch beobachtet wie einige die leeren Stimmzettel eingesammelt haben…Schade.. die Anzahl der Anwesenden haben ja gezeigt… dass es Interesse an der Wahl besteht..

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Über Rainer Kaufmann

Der gebürtige Bruchsaler Rainer Kaufmann ist Journalist, Gastronom, Gründer des 1. Bruchsaler Stadtkabaretts, war in den 90er Jahren Veranstalter von mehrtägigen Kulturevents im Schlachthof und im Atrium des Bürgerzentrums (auf eigene Rechnung!) und beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit der Geschichte seiner Heimatstadt – ob in TV-Dokumentationen, Büchern („Seilersbahn – ein Weg Geschichte“, „Elternstadt Bruchsal“), Theaterstücken („Unschädlichmachungen“), Kabarett-Aufführungen, Vorträgen oder als Stadtführer.

Landfunker nimmt das Angebot des oft unbequemen Rainer Kaufmann gerne an, in Form von Gastkommentaren seinen Leserinnen und Lesern eine andere Bruchsal-Perspektive zu bieten, die in der Regel jenseits der Selbstbelobigungen der Amtsblätter oder der Pressemitteilungen an die hiesigen Tageszeitungen und Internetportale liegt.

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