WILLI-Reportage | Nachgedacht: Straßenprostitution – Die Schattenseiten der Freizügigkeit

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Während für Nutznießer der Globalisierung die Grenzen nicht durchlässig genug sein können und internationale Freizügigkeit und ein offenes Europa als große Errungenschaft propagiert werden, sehen sich andere eher auf der Schattenseite und tun sich schwer mit Begriffen wie „Open Borders“. Mancher sitzt gar zwischen allen Stühlen oder wechselt bisweilen Sitzplatz und Perspektive, abhängig davon, ob er gerade auf der Gewinner- oder Verliererseite ist.

Eine Schattenseite internationaler Freizügigkeit im vereinigten Europa zeigt sich derzeit in unserer ländlichen Region in Form des bisher eher großstädtischen Phänomens der Straßenprostitution. Denn nachdem für die Stadt Karlsruhe nach einigen Vorfällen im Bereich Zwangsprostitution ein Straßenprostitutionsverbot erlassen wurde, verlagerte sich die Szene ins Industriegebiet Mantel im beschaulicheren, verkehrstechnisch aber gut angebundenen Bruchsal, wo diese Frauen früher höchstens vereinzelt an den Stadträndern anzutreffen waren. Prinzipiell ist in jeder Stadt mit mehr als 35.000 Einwohnern der Straßenstrich erlaubt. Ebenso wie die Prostitution in den zwei in Bruchsal ansässigen Clubs, wo sich jeweils rund ein Dutzend Frauen, meist Freelancer, um die fast ausschließlich männliche Klientel bemühen. Wobei die Straßenprostitution wenig lukrativ, aber gleichzeitig gefahrenträchtig ist und es sich hier wenigstens teilweise um Armutsprostitution handelt.

Anfangs waren es rund ein Dutzend Frauen, die in Bruchsal ihrer Tätigkeit nachgingen. Nach einigen Störungen im öffentlichen Raum und Vorfällen auf angrenzendem Privatgelände, erließ das Landratsamt auf Antrag des Bruchsaler Ordnungsamts eine sogenannte Allgemeinverfügung für ein Prostitutionsverbot am Mantel, was wiederum zu einer Verlagerung des Straßenstrichs hinter die westliche Seite des Bahnhofs führte. Dort stehen inzwischen nur noch eine Handvoll Frauen und warten auf Freier. Möglicherweise ist das Geschäft dort weniger lukrativ; auch könnte ein Teil der Sexarbeit nun in Wohnungen stattfinden.

Freizügigkeit bringt Schattenseiten.

Schwerlich lässt sich feststellen, wer bei diesen Geschäften mitverdient. Denn vermeintliche Begleiter mögen tatsächlich Aufpasser oder gar Zuhälter sein. Dass die Damen immer aus freien Stücken und in Eigenregie tätig sind, daran haben Beobachter so ihre Zweifel. Nachzuweisen ist laut Polizei und Ordnungsamt aber nur wenig. Vieles scheint sich in Grauzonen und am Rande der Legalität abzuspielen. Aber Leidtragende dieser internationalen Verflechtungen scheinen oft die Frauen, die unter prekären Verhältnissen ihrer Tätigkeit nachgehen. Sie kommen vorwiegend aus Bulgarien, Ungarn und Rumänien; einige gehören scheinbar zur diskriminierten Minderheit der Roma. Welche Errungenschaft europäischer Integration, dass Minderheiten sich in andere Länder begeben, um sich dort nicht immer freiwillig zu Dumpingpreisen männlicher Klientel anzubieten. Die Diakonie in Karlsruhe versucht diesen Frauen zu helfen und ist einmal in der Woche mit drei Sozialhelferinnen, die auch der Landessprachen der Betroffenen mächtig sind, vor Ort. Denn mancher Außenstehende mag zwar einräumen, die Prostituierten hätten ja einen Broterwerb und könnten so auch Geld nach Hause schicken und ihre Familien unterstützen; angesichts der Gesamtumstände klingt dies allerdings wie Hohn. Und man kann sich schon fragen, weshalb diskriminierte Minderheiten, die bisweilen auch finanziell ausgenutzt werden, nicht in ihren Heimatländern wenigstens etwas Unterstützung finden.

Alles in allem ist die Straßenprostitution kein Zustand, um den der Landkreis zu beneiden wäre, der aber laut Polizei und Ordnungsamt beherrschbar und unter Kontrolle ist, sowie weiter beobachtet wird. Umfassenderen Maßnahmen oder Lösungen stehen die Bundesgesetze im Weg. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass gerade vermeintlich Progressive um die Jahrtausendwende die gegenwärtige Prostitutionsgesetzgebung, die heute allseits lauthals beklagt wird, erst befördert haben. War es doch die damalige rot-grüne Koalition, die die Prostitution endlich aus der Schmuddelecke holen wollte und das meist von Frauen betriebene Gewerbe vollmundig als Dienstleitung ähnlich des Verkaufs von Haarschnitten ansah. Klar reglementierte, selbstbestimmte, kranken- und sozialversicherte Sexarbeit wurde damals zum Ideal ausgerufen. Inzwischen laufen die derzeit politisch Verantwortlichen bei Grünen und SPD teilweise regelrecht Sturm gegen das existierende Recht.

Ausbeutung trübt Europas offene Grenzen.

Geändert hat sich an diesen Zuständen und der bundesdeutschen Gesetzgebung bisher herzlich wenig und für internationale Beobachter gilt Deutschland inzwischen als das größte Hurenhaus Europas. Fragt man auf europäischer Ebene beim recht einflussreichen CDU-Europaabgeordneten Daniel Caspary aus Weingarten nach, so hält dieser Armutsprostitution schlichtweg für untragbar. Freizügigkeit, so Caspary sei ein zentrales europäisches Recht, dürfe aber kein Deckmantel für Ausbeutung sein. Seine Parlamentsgruppe unterstützt einen Kurswechsel und setzt, ähnlich vieler Bundestagsabgeordneter von CDU/CSU, SPD und Grünen auf das „Nordische Modell“, welches nicht Prostituierte, sondern die Freier unter Strafe stellt, um Ausbeutung einzudämmen und Frauen Ausstiegsperspektiven zu eröffnen. Dass die Mühlen aber auch im Europäischen Parlament unendlich langsam mahlen, zeigt die Tatsache, dass in Brüssel dazu vor mehr als zehn Jahren eine sogenannte Empfehlung verabschiedet wurde. Getan hat sich danach herzlich wenig.

Übrigens gibt es im Landkreis Karlsruhe bisher scheinbar keine organisierten Strukturen, die wie im Ruhrgebiet systematisch über Scheinbeschäftigungen meist diskriminierte Minderheiten aus Osteuropa in Schrottimmobilien auf kleinsten Raum zu überhöhten Mieten unterbringen, um Sozialleistungen abzugreifen. Was allerdings nicht bedeutet, dass auch in unserer Region möglicherweise ähnlich gelagertes Schindluder getrieben wird. So waren die heimischen Ordnungskräfte kürzlich erstaunt, in welchen Verhältnissen die Fahrer einer international tätigen Spedition untergebracht waren. Nicht immer ist klar, wer Gewinner der europäischen Freizügigkeit ist und wem die Lasten aufgebürdet werden.

Aus RegioMagazin WILLI 11/2025 | Text: Hubert Hieke

 

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