Bruchsal | Das sind Lettern für die Ewigkeit (Archiv 2015)

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Icon-Stadtmagazin WILLI Porträt | Die Künstlerin und Kalligrafin Marie-Luise Schneider


„Die Ruhe dieser Arbeit erfüllt das ganze Wesen mit einer umfassenden Zufriedenheit, wo Zeit und Raum, für kurze Zeit wie weggewischt, uns nicht mehr kümmern noch belasten.“ (Andreas Schenk)

Es war der 1. März 1945, der Schicksalstag Bruchsals, der auch das Leben von Marie-Luise Schneider völlig verändern sollte. Die junge Lehramtsanwärterin verlor an diesem Tag ihre Mutter, ihr Zuhause und ihr ganzes bisheriges Leben. Nichts blieb ihr übrig nach dem verhehrenden Bombenangriff auf Bruchsal.

Ihr Elternhaus stand in der Wörthstraße Nr. 7. Es war so völlig ausgebrannt, dass man noch nicht einmal die sterblichen Überreste der Bewohner finden konnte. Monate nach dem Angriff fand man bei Aufräumarbeiten in der Ruine geschmolzenes Glas und Porzellan als Zeichen dafür, wie heiß die Feuersbrunst der Bomben gewesen sein musste. „Ich war damals im Bruchsaler Rathaus zum Arbeitsdienst verpflichtet, das hat mir das Leben gerettet“, erzählt die betagte Dame noch haarklein aus ihren Erinnerungen. KoehleGerade 96 Jahre alt geworden, ist sie geistig noch sehr fit. Sie erzählt von ihrem Kunststudium in Karlsruhe, das sie noch im Oktober 1944 mit dem Staatsexamen abschließen konnte und ihren Tätigkeiten in den grafischen Werkstätten des St. Paulusheimes gleich nach Kriegsende, ihren Lehrerstellen am Fichte-Gymnasium in Karlsruhe und am Melanchthon-Gymnasium in Bretten. Als Kunstlehrerin stand das Gestalten und Zeichnen für sie immer im Mittelpunkt ihres langen Lebens. Noch vor kurzem hat sie eine Ausstellung im evangelischen Altenzentrum in der Huttenstraße mit einer Auswahl ihrer vielen Werke bestückt, die sie sorgfältig aufbewahrt.

Vom Pinselstrich zum Schmuckstück

Bekannt in Bruchsal ist sie allerdings mehr durch ihre Schriftkunst, denn sie beherrscht die Technik der Kalligrafie wie kaum sonst jemand. Von diesem Talent wusste Franz Bläsi. Er bat Marie-Luise Schneider 1950 das neu angeschaffte „Goldene Buch“ der Stadt Bruchsal nach dem Krieg zu führen. Der damalige Oberbürgermeister, ihr ehemaligen Lehrer am Schönborngymnasium und Freund der Familie, übertrug ihr diese Aufgabe, die sie bis zur letzten Seite im Frühjahr 2015, sorgfältig und ehrfurchtsvoll ausführte.
Sie hat den gestalterischen Rahmen für viele Einträge von Prominenten geliefert. Angefangen mit den früheren Bundespräsidenten Theodor Heuss (1955), über Gustav Heinemann (1971), Horst Köhler (2008), über Ex-Kanzler Helmut Kohl und dem französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand (1987), hatte Bruchsal Legenden wie „Seppel“ Herberger (1970) und sogar den „Kaiser“ Franz Beckenbauer (1976) zu Gast. Noch viele weitere bekannte und weniger bekannte Personen sind in dem großen blauen Buch verewigt, das seinen Namen von der goldenen Einfärbung der Seiten, dem „Goldschnitt“ bekommen hat.

HELMUT KOHL trägt sich am 12. November 1987 bei seinem Besuch des Bruchsaler Schlosses im Rahmen der deutsch-französischen Konsultationen der Staats- und Regierungschefs ins Goldene Buch der Stadt Bruchsal ein.
HELMUT KOHL trägt sich am 12. November 1987 bei seinem Besuch des Bruchsaler Schlosses im Rahmen der deutsch-französischen Konsultationen der Staats- und Regierungschefs ins Goldene Buch der Stadt Bruchsal ein.

Ein kleines bisschen verewigt darin ist neben diesen hohen Besuchern aber auch Marie-Luise Schneider, die am 9. Juni 2015 im Beisein der Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick ihren letzten Eintrag in das goldene Buch der Stadt Bruchsal machte und im Alter von 95 Jahren dieses Ehrenamt abgab.

Anlässlich der Heimattage Baden-Württemberg wurde im April dieses Jahr mit dem Eintrag des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ein neues Goldenes Buch der Stadt Bruchsal begonnen. Das alte wandert nun ins Stadtarchiv. Wie besonders die Aufgabe ist, die Einträge vorzubereiten, kann man daran erkennen, dass es nicht leicht war eine geeignete Nachfolge für Marie-Luise Schneider zu finden. Manche möglichen Kandidaten hatten schlichtweg „Respekt“ vor diesem Buch, denn für die Einträge gibt es keine Korrekturtaste, jeder Buchstabe muss sitzen – für die Ewigkeit.

Text: Andrea Bacher-Schäfer, Bilder: Stadtarchiv Bruchsal

Kalligrafie
Kalligrafie oder Kalligraphie ist die Kunst des „Schönschreibens“ von Hand, mit Feder, Pinsel, Filzstift oder anderen Schreibwerkzeugen. Die Kalligrafie steht im Gegensatz zur Typografie, dem Setzen mit vorgefertigten Formen.

Das Goldene Buch
Ein Goldenes Buch ist ein von Gemeinden und Städten verwendetes Buch, in das sich Ehrengäste während eines Besuchs eintragen dürfen. Die Bezeichnung ist sinnbildlich, aber auch wörtlich in Bezug auf den Goldschnitt der Seiten und Vergoldungen am Einband zu verstehen. Die Einträge der Gäste werden von Kalligraphen gestaltet, indem diese den Namen des Gastes, Datum und Anlass des Besuchs auf ein Blatt schreiben.

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