Hochwasser, Klimawandel, Energiewende: WILLI-Interview mit Cornelia Petzold-Schick

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WILLI Redakteur Hubert Hieke traf sich mit Bruchsals Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick. In ihrem Büro sprachen sie über zentrale Herausforderungen, denen sich die Stadt in der letzten Zeit stellen musste, wie die Bewältigung des jüngsten Hochwassers. Darüber hinaus ging es um zukunftsweisende Themen wie die Energiewende, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Flüchtlingspolitik. Petzold-Schick teilte ihre Einschätzungen zur weiteren Entwicklung Bruchsals und gab einen persönlichen Ausblick auf eine mögliche Wiederwahl.

Guten Tag, Frau Oberbürgermeisterin. Danke, dass Sie uns eingeladen haben. Lassen Sie uns gleich loslegen: Inwieweit hat Bruchsal das Hochwasser inzwischen bewältigt?

Petzold-Schick: Wenn Sie durch die Straßen von Heidelsheim und Teile der Kernstadt laufen, dann sehen Sie annähernd nichts mehr. Das heißt, im optischen Sinne ist die Bewältigung gut gelungen. Inwieweit wir die verschiedenen anderen Herausforderungen bewältigt haben, dazu gibt es nur differenzierte Antworten. Es gibt dabei immer eine Ex post und Ex ante Betrachtung. Und hinterher kann man das eine oder andere sicherlich noch mal neu beurteilen. Über 50 Personen haben ihre Wohnungen verloren, doch zumindest sind alle unterkommen. Was noch nicht geklärt ist, ist das Ausmaß der individuellen Betroffenheiten. Denn einzelne Familien wissen noch nicht, ob sie wieder in ihre Häuser können. Da ist vieles noch unklar. Was bisher gut gelungen ist, ist die Tatsache, dass diejenigen, die ordentlich versichert sind, sehr schnell Rückmeldungen bekommen haben, sodass bei vielen die wirtschaftliche Situation abgemildert wird.

Was aber ein Problem bleibt, ist die nicht Versicherbarkeit. Und da möchte ich eine klare politische Forderung stellen. Es kann nicht sein, dass wir uns in Deutschland gegen solche Katastrophen nicht versichern können. Ich bin absolut für die Pflichtversicherung. Und das möchte ich an dieser Stelle betonen. Weil bestimmte Straßen schon 2013 betroffen waren, sind die Menschen aus der Versicherung gefallen oder konnten sich nicht mehr versichern. Dies darf es so nicht geben. Der dritte Bereich, den ich ansprechen will, ist die individuelle psychische Betroffenheit. So ein Geschehen macht etwas mit den Menschen. Wir haben uns an Kinder und Jugendliche gewandt. Mit Fachleuten haben schon Informationsveranstaltungen stattgefunden. Ich war selbst in Kindergärten und habe Gespräche geführt. Aber es gibt auch viele Erwachsene, die sagen, sie würden gerne psychologische Beratung oder andere Hilfe in Anspruch nehmen.

Erwarten Sie auch finanzielle Hilfe vom Land Baden-Württemberg?

Da bin ich mittlerweile sehr zuversichtlich. Ich hatte verschiedene Gespräche und wir haben uns gemeinsam mit Bürgermeister Rupp und den Landtagsabgeordneten an den Innen- und Finanzminister gewandt. Es ist so, dass der Katastrophenerlass auf den Weg gebracht worden ist. Das heißt dann zumindest, dass in Härtesituationen partiell Hilfe vom Land zu erwarten ist. Die genauen Maßnahmen kenne ich noch nicht, aber ich bin dem Land sehr dankbar. Denn dort hat man inzwischen das Ausmaß der Katastrophe verstanden.

Auf einem Gruppenfoto sah man Sie zwischen Helfern in Gummistiefeln im schlammigen Untergrund in blütenweißen, leichten Halbschuhen stehen. Wie kam es zu diesem bemerkenswerten Auftritt?

Ich hatte meine Gummistiefel zwar im Auto, aber nicht an, als ich jemanden sah und spontan aus meinem Wagen stieg. Dadurch kam diese Situation zustande.

Was sind die wichtigsten Aufgaben, die die Stadt Bruchsal und der Landkreis Karlsruhe in den nächsten Jahren zu bewältigen haben?

Das ist eine große Frage. Gerade haben wir über das Thema Hochwasser gesprochen, so ist sicherlich eines der Themen die Klimaanpassung und die Energiewende. Die Auswirkungen des Klimawandels kommen näher und wir müssen damit umgehen. Wir müssen die Energiewende konsequenter voranbringen, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen.

Da haben wir mit der Energieleitplanung frühzeitig einen wichtigen Schritt getan und können jetzt schon mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien in die Umsetzung gehen. Als weiteres wichtiges Thema sehe ich ganz allgemein das Thema des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Diesen gilt es auch vor Ort in den einzelnen Quartieren zu stärken.

Angesichts der Palette von Aufgaben, die in Zukunft auch in Bruchsal zu bewältigen sind, wollen Sie doch sicher als Oberbürgermeisterin weitermachen und sich zur Wiederwahl nächstes Jahr stellen?

Also in der Tat gibt es weiterhin interessante, wichtige Aufgaben zu bewältigen. Und je schwerer die Aufgaben sind, ist die Vorstellung da, auch wieder anzutreten und zu sagen, ich habe meinen Platz bei den Menschen, bei den Aufgaben. In der Tat kann ich mir durchaus vorstellen, wieder anzutreten. Dies hätte ich vor einem Jahr nicht in dieser Deutlichkeit gesagt, aber ich kann es mir jetzt vorstellen. Ich werde zu gegebener Zeit die endgültige Entscheidung öffentlich bekannt machen.

Klimawandel ist für Sie ein beherrschendes Thema. Ein wichtiges Thema. Zu welchem Anlass sind Sie das letzte Mal im Flieger gesessen?

Gute Frage. Da muss ich nachdenken. Es war vergangenes Jahr eine Gruppenreise nach Kuba, die von einem der örtlichen Finanzdienstleister angeboten wurde.

Sie sagen oft, die Sonne schreibt keine Rechnung. Die Stadtwerke und die EnBW meinen aber, auf die Bevölkerung kämen durch die Energiewende große Investitionen zu und längerfristig werden die Strompreise doch eher hoch bleiben. Was würden Sie den Menschen dazu sagen? Ist hier ein Widerspruch zwischen den Stadtwerken und Ihnen?

Da ist überhaupt kein Widerspruch. Natürlich muss für die Installation der erneuerbaren Energieanlagen gezahlt werden, das ist ja selbstverständlich. Der Spruch von Franz Alt, den er vor vielen, vielen Jahren gesagt hat, stimmt dennoch. Ich bin absolut dafür, dass wir unsere Dächer viel mehr noch für die Gewinnung von Solarenergie nutzen. Wir haben noch unzählige Supermärkte und sonstige Dächer, die genutzt werden können. Viel mehr noch als Freiflächenanlagen. Wir brauchen einen guten Energiemix. Und natürlich wird Energie in Zukunft weiter etwas kosten. Doch es geht auch um Energiesicherheit. Wie entscheidend das ist, haben wir ja vor zwei Jahren gesehen. Dabei spielen die erneuerbaren Energien eine entscheidende Rolle.

Selbst Anhänger der Windkraft tun sich schwer damit, Windräder in die heimischen Wälder zu stellen. Was sagen Sie diesen Menschen?

Ich würde mich sogar anschließen. Ich bin ein totaler Fan der Geothermie und sage: Wir müssen als erstes den Schatz der Geothermie durch den großflächigen Aufbau eines Fernwärmenetzes heben. Aber Bund und Land haben eben entschieden, dass zwei Prozent der Fläche für Windkraft auszuweisen sind. Der Regionalverband hat sich entsprechend dieser Aufgabe zu stellen und dementsprechend haben wir vom Regionalverband Hausaufgaben bekommen, die wir lösen müssen.

Gibt es für Sie eine gewisse absolute Obergrenze für die Anzahl der Windräder auf Bruchsaler Gemarkung? Könnten am Ende dort mehr als zwölf Turbinen stehen?

Wir haben drei verschiedene Flächenbereiche ausgemacht. Ich stehe dazu, dass wir hier das Thema Sichtbarkeit, Übervorteilung und Schutz der Betroffenen beachten. Für mich ist klar, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht darauf haben, dass wir mit potenziellen Investoren so ins Gespräch gehen, dass die Windräder auch optisch nicht zu beeinträchtigend sind. Was allerdings hinzu kommt, sind die Umlandgemeinden. Auch hier geht es natürlich um die Sichtbarkeit der Anlagen. Damit es nicht zu einer Umzingelung kommt, bin ich mit meinen Kollegen der Nachbarkommunen im Gespräch.

Charlotte Klingmüller scheint inzwischen das Stadtplanungsamt zu leiten. Welche Aufgabe hat sie? Umwelt? Und wenn ja, handelt es sich hier um eine Aufblähung von Ämtern in der Verwaltung, quasi durch die Hintertür?

Wir haben den Fachbereich Stadtentwicklung. Den leitet Herr Ayrle und wir haben im Fachbereich Stadtentwicklung zwei Ämter geschaffen, das Umweltamt und das Planungsamt. Frau Klingmüller leitet das Planungsamt. Herr Ayrle macht Stadtentwicklung im allgemeinen Sinne und leitet im Umweltamt die Bereiche Umwelt und Mobilität. Es gibt keine zusätzlichen Stellen.

Sie sind letztes Jahr den Grünen beigetreten. Seitdem geht es für die Partei in den Umfrage-Charts nur noch südwärts. Sind Sie enttäuscht?

Ich bin zu einem Zeitpunkt beigetreten, zu dem sie schon auf einem fallenden Ast waren. Wäre ich ein Jahr früher eingetreten, hätten alle gesagt, das sei Populismus. Ich bin eingetreten, als den Grünen schon der Gegenwind entgegenkam. Das liegt an der Ampelkoalition. Ich bin in erster Linie als Antwort auf den Rechtsruck in unserer Gesellschaft beigetreten. Ich möchte zeigen, für was ich stehe. Es war schon immer bekannt, wo ich politisch stehe. Aber ich habe dem eben auch Ausdruck verleihen wollen. Die klassischen Parteien müssen schauen, dass sie gut zusammenhalten, auch wenn sie sich in Einzelfragen nicht einig sind. Das hat natürlich auch mit dem Erstarken der AfD zu tun.

Was sagen Sie bezüglich der Flüchtlingspolitik zu folgender Aussage: „Die Aufnahmefähigkeit der Kommunen sei erschöpft, eine strikte Begrenzung der illegalen Migration sei dringend erforderlich.“

Aus meiner Sicht trifft vieles, was zur Migration, egal von welcher Seite gesagt wird nicht das, was wir hier vor Ort zu gestalten haben. Ich habe vor Ort Flüchtlinge unterzubringen, habe sie in Schulen und Kindergärten zu bringen. Und ich habe vor allem eines zu tun – sie zu integrieren. Dazu brauche ich die Wirtschaft, die Vereine und die Stadtgesellschaft. Diese ganzen Reden, egal von welchen Parteien, ob gerade mehr oder weniger Migranten kommen, hilft wenig.

Wir können die Menschen integrieren, wenn wir für Wohnraum entsprechende Programme bekommen und so mehr Wohnraum schaffen können und wenn wir für KITA und Schule mehr Unterstützung bekommen. Ich mache das Thema Migration an den Menschen fest, wie sie sich integrieren. Deshalb müsste für mich bei der Migrationspolitik vor allem die Frage im Vordergrund stehen, wie wir die Menschen am besten integrieren können. Zugleich heißt das für mich aber auch, dass wir klare Vorgaben haben, was mit denen passiert, die sich nicht integrieren. Sie sollten wir schnell abschieben können. Das ist eigentlich das, was ich dazu zu sagen habe. Es sollte vielmehr bei uns vor Ort gefragt werden, was wir ganz konkret brauchen. Wir brauchen mehr Anlaufstellen, an die wir uns wenden können. Denn wir sind oft auf uns selbst gestellt.

Der Landkreistag und Landrat sehen die Aufnahme und Integrationsfähigkeit erschöpft. Sie sehen das also etwas anders?

Das habe ich so nicht gesagt. Ich sage nur, ich kann es nicht an etwas Absolutem festmachen, sondern ich mache es am Agieren der Menschen fest. Wenn die Menschen sich integrieren wollen, dann kann die Wirtschaft diese Menschen gut gebrauchen. Sie gleich in Arbeit bringen zu können, das wäre ganz wunderbar. Aber das Problem ist, dass wir die Menschen oft aus rechtlichen Gründen nicht in Arbeit bringen dürfen. Und wenn manche dann auf dumme Gedanken kommen, dann habe ich ein echtes Problem. Ich finde die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU total ungerecht und ich würde alle Parteien bitten, in der EU endlich mal für eine bessere Verteilung zu sorgen. Ich bin sehr frankophil, wir haben zwei französische Städtepartnerschaften, aber allein in Baden-Württemberg sind mehr Ukrainer untergebracht als in ganz Frankreich. Das geht so nicht.

Manche Gegner der geplanten Erstaufnahmeeinrichtung am Weiherberg hoffen, dass eine drastische bundespolitische Umkehr in der Flüchtlingspolitik vielleicht diese Einrichtung in Bruchsal überflüssig machen könnte. Was würden Sie denn dazu sagen?

Ich würde mich anschließen in der Hoffnung, dass es genug Kapazitäten gibt in den vorhandenen Einrichtungen. Dann bräuchte man bei uns die Einrichtung nicht. Ob mehr Grenzkontrollen die alleinige Problemlösung sind, da fehlt mir der Glaube, das erscheint mir als pure Ankündigungspolitik. Aber es würde in der Tat nützen, wenn weniger Menschen kämen, dann reichen vielleicht auch die vorhandenen Einrichtungen aus.

Danke schön für das Interview. Ihnen alles Gute!

Aus RegioMagazin WILLI 10/2024

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Siehe auch

Petzold-Schick: Tritt die grüne Oberbürgermeisterin ein drittes Mal in Bruchsal an?

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