Das Wohnhaus der Kärchers in Weingarten soll eine „Erziehungsstelle“ sein? Eine stationäre Erziehungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch, sozusagen ein ausgelagerter Heimplatz? Sicher, wenn man nach den Paragrafen geht, dann stimmt das. Schaut man einfach nur hin, sieht man lediglich: eine Familie.
„Einmal im Leben einfach sitzen bleiben“ – die gerahmte Zeitschriftenseite mit diesem Spruch wirkt wie ein unerfüllter Wunschtraum. Langweilig wird es im Hause Kärcher nicht, soviel steht fest. Vor acht Jahren hatten Jutta und Walter zwei Pflegekinder bei sich aufgenommen. Samir war damals vier Jahre, seine Schwester Jasmin sechs Jahre alt. Die leibliche Mutter war überfordert, das Jugendamt hatte einen Vormund bestellt und suchte eine Unterbringung. Statt einem Platz im Kinderheim bekamen die Kinder ein Zuhause bei der Familie Kärcher.
Nun ist es nicht so, dass das Jugendamt an der Tür klingelt und fragt, ob man Platz, Zeit und Lust hat.
Gespräche über Monate
Die Entscheidung und die Initiative kommt immer von den Familien selbst. „Es gab im Bekanntenkreis jemand, der Pflegekinder aufgenommen hatte – so kamen wir auf den Gedanken, dass wir das auch machen könnten“, erinnert sich Jutta. Ein Infoabend der Villa Kunterbunt, ein privates Kinderheim in Büchenau, hatte das Paar in dem Beschluss bestärkt, nochmals Kinder beim Heranwachsen zu begleiten – die eigenen Kinder Gregor und Constanze waren damals bereits 22 und 17 Jahre alt. Da Jutta als Erzieherin eine pädagogische Ausbildung absolviert hat, kann sie eine Erziehungsstelle anbieten, während bei einer normalen Pflegefamilie die Hürden niedriger sind. In beiden Fällen gibt es über Monate mehrere Gespräche mit dem Team der Villa Kunterbunt, das auch während der Aufnahme von Kindern immer begleitend, beratend und unterstützend zur Seite steht. Das Jugendamt prüft zudem die Gegebenheiten vor Ort, außer den Räumlichkeiten muss auch das polizeiliche Führungszeugnis in Ordnung sein. Regelmäßige Berichte, Treffen sowie externe Supervision erleichtern es, das eigene Handeln zu reflektieren. Die betreuenden Familien bekommen auch finanzielle Hilfen: eine Aufwandsentschädigung für die Sachleistungen, aber auch ein Gehalt für die Arbeit. Faktisch ist Jutta Kärcher Angestellte des Kinderheims mit dem Arbeitsplatz zuhause – praktisch ist es doch so unendlich mehr: man übernimmt die Verantwortung für die Kinder anderer. „Es ist wünschenswert, wenn die Eltern mit ins Boot geholt werden“ sagt Heike Rapp, stellvertretende Leiterin der Villa Kunterbunt. Bei Kärchers klappt das auf wünschenswerte Weise: Mehrfach in der Woche telefoniert Jutta mit der leiblichen Mutter, die bei allen wichtigen Entscheidungen eingebunden wird und beispielsweise auch die Schulzeugnisse unterschreibt. Auf Wunsch der Kinder gibt es inzwischen auch Kontakt zum Vater, Familienfeste werden im großen Kreis gefeiert.
„Ihr habt mir nix zu sagen“
Neben all den schönen Momenten gibt es wie in jeder Familie natürlich auch Trotzphasen. Wenn der naheliegende Satz fällt: „Ihr seid nicht meine Eltern, ihr habt mir gar nix zu sagen“ – wie geht man damit um? „So wie es ist“, sagt Jutta, „es stimmt: wir sind nicht die Eltern. Aber wir haben momentan die Verantwortung.“ Das war die vergangenen acht Jahre so und wird wohl so bleiben, bis Samir und Jasmin ein selbständiges Leben führen können. „Es ist ein Gewinn an Lebensfreude, es bereichert das Leben“, sagen Walter und Jutta Kärcher über ihre Motivation, „wir haben zu den Kinder „a“ gesagt, wir wollen versuchen, ganz lange „b“ zu sagen“. Auch wenn man manchmal einfach nur mal sitzen bleiben möchte, wie in dem oben erwähnten Bilderrahmen? Da passt das andere gerahmte Spruch daneben doch viel besser zu Jutta und Walter Kärcher: „Einmal im Leben bis zum Horizont und weiter gehen.“ Denn das machen sie jeden Tag.
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Text und Bild : Armin Herberger
Film zum Jubiläum der VILLA kunterbunt
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