1. März 1945 | Der Bombenangriff am 1. März 1945 war nicht nur für Bruchsaler ein schreckliches Datum – auch Einwohner aus den umliegenden Ortschaften waren an diesem Tag in der Stadt. |
„Zwei Mal in meinem Leben hab ich Glück gehabt“, sagt Paul Riffel aus Karlsdorf. Von dem zweiten Mal weiß er noch genau das Datum: 1. März 1945. Als 14-jähriger war er Lehrling in den Vereinigten Eisenbahn-Signalwerken (VES), oder wie man damals sagte, „beim Schnabel“, da der Siemens-Vorläufer im Jahr 1869 gegründet, als „Maschinenfabrik Schnabel & Henning in Bruchsal“ benannt wurde. Während des Krieges gehörte Fliegeralarm zum Alltag. „Zwei- bis dreimal am Tag war normal“, erinnert sich Paul.
Im Betrieb hatte man sich nicht nur auf städtische Warnungen verlassen, sondern auf dem Dach des Hauptgebäudes eigene Späher platziert. Wenn diese Alarm schlugen, hatten sich die Mitarbeiter schleunigst in die Luftschutzkeller zu begeben. Dass der Angriff an jenem Tag anders war hatte Riffel schnell gemerkt: „Gleich nach den ersten Alarmsignalen gab es schon die ersten Einschläge.“ Die Werkstätten lagen in der Nähe des Schlossgartens – und genau dort wollte er Zuflucht suchen, Hauptsache weg vom Industriegelände als vermeintliches Bombenziel.
Abgeschnitten von der Außenwelt
Er wusste, dass die Einschläge wellenweise kamen, also wartete er die Pausen ab, um loszurennen – bis er schließlich doch in einen Keller gezogen wurde. Er erinnert sich nur noch, dass jede Menge russische Frauen in dem dunklen Raum laut beteten. Draußen wurde es allmählich ruhiger, bis von außen die Tür aufgemacht wurde mit der Ansage: „Alle Männer zur Verwaltung – Volltreffer!“ Auch Paul ging mit – bis er am Fahrradständer unversehrt das Rad seiner Mutter sah, mit dem er am Morgen nach Bruchsal gefahren war. Das war der Moment, an dem es dem 14-Jährigen zu viel wurde, er sich kurzerhand davonstahl und nach Hause radelte. Unterwegs traf er auf einen Praktikanten aus Neudorf, der den ersten Tag bei VES war – ihn nahm er ein Stück auf dem Gepäckträger mit.
Auch Marga Antoni machte eine Lehre bei VES. Untypisch für ein Karlsdorfer Mädchen, die zum großen Teil in den Tabakfabriken im eigenen Ort arbeiteten, wollte die damals Fünfzehnjährige Technische Zeichnerin werden. Gruppenweise wurden die Luftschutzräume zugewiesen, in denen sie auch am 1. März Zuflucht suchten. „Wir waren froh, dass unsere Räume nicht neben der Bahnlinie lagen, sondern eher westlich“, erinnert sich die Karlsdorferin. Doch genau ihr Keller wurde getroffen, die Decke stürzte ein, der Boden aufgewühlt. Verschüttet, in völliger Dunkelheit, abgeschnitten von der Außenwelt. Wie lange sie und ihre Kollegen in dieser Situation waren kann sie nicht sagen – es kam ihr jedenfalls ewig vor.
Jagdbomber am Himmel
Schließlich wurde sie von französischen Kriegsgefangenen ausgegraben und gerettet. „Ich konnte es kaum fassen, was für ein Glück ich hatte und dachte, es müsste sich doch die ganze Welt mitfreuen!“ Das war angesichts der vielen Todesopfer allerdings nicht so – alleine 72 waren es bei der VES. Der Flur vor ihrem eingestürzten Kellerraum schien beispielsweise völlig intakt – aber zwei Kolleginnen, die es nicht mehr bis in den Schutzraum geschafft hatten, waren eben dort durch die Druckwelle umgekommen.
Die Überlebenden machten sich auf dem Heimweg: Marga erinnert sich wie sie, völlig eingestaubt, von Anwohnern am Saalbach etwas zu trinken bekam, „damit ihr wenigstens schlucken könnt“. In Karlsdorf wurde sie bei ihrer Rückkehr nach ihren Freundinnen gefragt: „Die kommen bestimmt gleich“, hatte Marga geantwortet, schließlich wurde sie selbst ja auch gerettet. Aber Bertl, Gertrud, Anne, Waltraud und andere sollten nie mehr kommen. „Warum habt ihr meine Tochter nicht mitgebracht?“, wurde sie noch lange gefragt – sie, die froh war, selbst überlebt zu haben, aber dafür letztendlich auch nichts konnte. Eben einfach Glück gehabt. Später hatte sie sich schließlich bei Siemens beworben und musste dafür mehrere Wochen lang zum Lehrgang nach Speyer, in die französische Besatzszone. Da die Brücke bei Germersheim zerstört war, setzen Reisende mit einem kleinen Schiff – genannt „Zonen-Kattl“ – über den Rhein.
Zur gleichen Zeit am gleichen Ort
Paul Riffel wurde in den Tagen nach dem verheerenden Bombenangriff zu Räumungsarbeiten nach Bruchsal geschickt, unter anderem auch, um Tote zu bergen. Dabei war er selbst dem Tod zu dem Zeitpunkt bereits zum zweiten Mal entgangen. Das erste Mal war bereits vor der Zerstörung Bruchsals, auf dem Weg in die Stadt, als Jagdbomber am Himmel erschienen und das Feuer eröffneten auf alle Zivilisten, die gerade unterwegs waren. Etwa dort, wo heute ein großer Elektrofachmarkt steht, konnte er sich gerade noch in einen der Splittergraben retten, die entlang des Weges ausgehoben und mit Wellblech bedeckt waren. Ein junger Mann aus Huttenheim war auf der Straße gestürzt und dem „JaBo“ hilflos ausgeliefert, doch in letzter Minute konnte er sich noch retten.
Diese Szene hatte auch Marga Antoni beobachtet, die wenige Meter weiter im Splittergraben Schutz gefunden hatte. Sie war damals zur gleichen Zeit am gleichen Ort wie Paul Riffel, genau wie am 1. März 1945, was beiden erst später bewusst wurde. Beide hatten Glück – und sollten später nach den Kriegsschrecken noch viele glückliche Momente haben: Voriges Jahr konnten Marga und Paul Riffel ihre Diamantene Hochzeit feiern.
Text: Armin Herberger; Bilder: privat, Stadtarchiv Bruchsal